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Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)

Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)

Titel: Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Reitemeier , Wolfram Tewes
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Bekanntes in den ausgeprägten Gesichtszügen der Mittvierzigerin gefunden. Was genau das war, hätte Olga nicht sagen können. Die Frau war keine feine Dame, keine kaltherzige Behördenschranze, aber auch keiner von diesen Gutmenschen.
    Karen Raabe, so hatte sich die Frau vorgestellt, die in ihrem leicht abgenutzten Blazer, nicht gerade blitzsauberen Jeans und auffallend hochhackigen roten Stiefeletten in keine dieser Welten so richtig passte. Olga hatte nicht alles verstanden, was Karen Raabe gesagt hatte, so gut war ihr Deutsch auch nach zwei Jahren in diesem Land noch nicht, aber ihr war klar geworden, dass diese Frau gekommen war, um ihr zu helfen. Eigentlich hatte Olga einen starken Abwehrreflex entwickelt, wenn sich jemand zu sehr für sie interessierte. In der Vergangenheit hatte dies für sie immer nur unangenehme Folgen gehabt. Aber bei dieser Frau Raabe ließ der Reflex sie jetzt im Stich. Die Frau hatte etwas an sich, dem Olga nichts entgegensetzen konnte. Nach einer Viertelstunde und zwei Zigaretten war sie endlich bereits gewesen, auf Frau Raabes Fragen zu antworten.
    Auch Olga hatte in diesem explodierten Haus gewohnt. Zusammen mit zwei anderen Mädchen. An dem Abend, an dem das Haus in die Luft geflogen war, hatte Olga mit Alexandra, einer ihrer Mitbewohnerinnen, Dienst im Bordell gehabt und war nicht zu Hause gewesen. Alicija, die Dritte im Bunde, hatte an diesem Tag Frühschicht gehabt und deshalb … Olga bekam feuchte Augen und musste eine Pause machen. Dann fasste sie sich wieder und sprach weiter.
    »Alicija habe ich in Odessa kennengelernt. Sie ist in der Stadt aufgewachsen. Ich bin auf dem Land groß geworden und nach Odessa gekommen, um Arbeit zu finden. Damals war ich siebzehn. Kellnerin wollte ich werden, in einem guten Restaurant. Aber ich habe immer nur Jobs als Aushilfskellnerin in schäbigen Hafenbars bekommen. Eines Tages kam eine Frau zu mir und machte mir ein tolles Angebot. Sie hat gesagt, dass in Deutschland gute Kellnerinnen gesucht würden. Ich könnte dort in einem Monat mehr Geld verdienen als in der Ukraine in einem Jahr. Und die Aufstiegschancen seien dort auch wesentlich besser. Ich war sofort begeistert. Aber ich war ja erst siebzehn und konnte nicht so einfach in ein anderes Land ziehen. Deswegen müsse man etwas tricksen, sagte die Frau. Mir war das alles egal – ich wollte nach Deutschland. Meinen Eltern habe ich davon nichts erzählt, die hätten mir das sowieso nicht erlaubt. Ich habe alles dieser Frau überlassen. Sie hat mir vorrübergehend eine Wohnung besorgt. Zwei Tage später kam ein anderes Mädchen dazu – Alicija. Sie war ein ganz anderer Typ als ich, aber wir haben uns immer gut verstanden.«
    »Hat Alicija denn etwas über sich erzählt?«, wollte Karen Raabe wissen.
    »Na ja, wie gesagt, sie war in Odessa aufgewachsen. Darüber hat sie ein bisschen was erzählt. Und über ihren Vater. Vor allem über ihren Vater.«
    »Was war denn mit Alicijas Vater?«
    »Alicijas Mutter ist gestorben, als Alicija zwölf Jahre alt war«, erzählte Olga und wirkte dabei etwas geistesabwesend. »Ihr Vater war Seemann und nur selten zu Hause. Der Mann im Haus war eigentlich ihr älterer Bruder. Niemand hat sich für Alicija interessiert, niemand hat sie irgendwie gefördert. Aber das war bei mir daheim auch nicht anders. Als sie sechzehn war, wurde ihr Vater durch einen Unfall arbeitsunfähig und blieb zu Hause. Erst hat Alicija sich darüber gefreut, endlich mit ihrem Vater zusammenleben zu können. Aber dann stellte sich sehr schnell heraus, dass dieser Mann sich nur um sich selbst kümmerte. Er soff wie ein Loch. Und in Alicija sah er nicht die Tochter, sondern nur die ungewöhnlich hübsche junge Frau. Alicija hat nicht erzählt, was in dieser Zeit alles vorgefallen ist. Aber sie hat zugesehen, dass sie so schnell wie möglich von diesem Vater wegkam. Und so landete sie wie ich in dieser Wohnung und wartete darauf, nach Deutschland gebracht zu werden. Weil sie auch noch nicht volljährig war, hatte sie Angst, wieder zu ihrem Vater zurückgeschickt zu werden.«
    »Und wie seid ihr nach Deutschland gekommen?«, fragte Karen Raabe.
    Karen Raabe stellte fest, dass Olga nicht mehr an die Decke starrte, sondern ihr direkt in die Augen sah, während sie ihren Bericht weiterführte. Alicija und sie waren eines Tages auf ein Schiff gebracht worden. Sie mussten sich dort in einem kleinen, geschlossenen Raum aufhalten. Es könne passieren, dass der ukrainische Küstenschutz das

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