Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)
Schreibtischplatte.
Dabei war der Auftrag denkbar klar gewesen. Irina sollte Alicija etwas Angst einjagen, sie einschüchtern, mehr nicht. Diese kleine Schlampe war in den letzten Tagen eindeutig zu frech geworden. Hatte ihm sogar gedroht. Wollte ihn beim Finanzamt anschwärzen und bei der Polizei gleich mit. Herrgott, musste er sich so etwas gefallen lassen? Von einem Flittchen, das froh sein konnte, bei ihm Lohn und Brot gefunden zu haben? War das der Dank für alles?
Er kramte nervös in einer Schreibtischschublade herum und zog schließlich eine Schachtel Zigaretten heraus, seine Reserveration für harte Zeiten. Mit zittrigen Fingern zündete er sich eine an und inhalierte mit einer Leidenschaft, die sofort einen heftigen Hustenanfall auslöste. Nachdem er sich erholt hatte, kehrten seine Gedanken zu Alicija zurück. Angeblich hatte sie Informationen über den Bereich seiner Geschäfte, von dem niemand, erst recht nicht das Finanzamt, etwas wissen musste. Er hatte keine Ahnung, von wem ihre Informationen stammten, aber die kleinen Kostproben, die sie geliefert hatte, waren überzeugend gewesen. Offenbar war ihre Quelle gut informiert. Also war er schon vorgewarnt gewesen, als sie mit ihrem Erpressungsversuch zu ihm kam. Sie wolle ihre Papiere zurück haben, hatte sie gesagt, das sei ihr gutes Recht.
Unglaublich, wer konnte ihr nur diesen Floh ins Ohr gesetzt haben? Er hatte schon einen Verdacht, doch darum würde er sich später kümmern. In diesem Moment, war das Bedürfnis, Irina in der Luft zu zerreißen, schier übermächtig. Alles andere trat dahinter zurück.
Der Mann klopfte sich Asche von seinem eleganten grauen Anzug und fluchte, als er dabei mehr Schaden als Nutzen anrichtete. Einen Denkzettel hatte sie Alicija einjagen sollen, mehr nicht. Schließlich war sie eines seiner besten Pferde im Stall. Kaum ein Mädchen brachte so viel Geld ein. Ein verdammt hübsches Ding, musste er sich eingestehen. Auch Irina war mal so hübsch gewesen, doch als sie die Fünfunddreißig überschritten hatte, war sie für den Liebesdienst nicht mehr zu gebrauchen. Da sie aber sein Vertrauen hatte und so etwas wie Führungspersönlichkeit mitbrachte, machte er sie zu seiner Stellvertreterin im »Geschäft«.
Drei Jahre hatte Irina ihren Job gut gemacht, der Laden lief prächtig. Als ihm klar geworden war, welche Bedrohung Alicija für ihn darstellte, beschloss er, sie zum Schweigen zu bringen. Er selbst wollte sich allerdings auf keinen Fall die Finger schmutzig machen. Dafür hatte er Irina, die nicht nur auf ihre Art klug, sondern auch völlig skrupellos war. Großmütig gestattete er ihr, die Mittel und Wege zur Zähmung Alicijas selbst zu bestimmen. Von diesen unfeinen Kleinigkeiten wollte er gar nichts wissen. Alles Mögliche war denkbar gewesen. Am Montagmorgen wollte Irina zwei Wochen Urlaub auf Mallorca machen. Vorher sollte sie das Problem Alicija regeln.
Doch als er Sonntagnacht die Nachricht von dem explodierten Haus und der noch nicht identifizierten Frau bekam, hatte er seinen Ohren nicht getraut. Was war das denn? Hatte die Frau gleich ein ganzes Haus in die Luft gejagt! Mit einem solchen Knall, dass jeder, aber auch wirklich jeder in diesem gottverlassenen, bigotten Kaff davon etwas mitbekam und sich das Maul zerriss. Oh, wenn er Irina jetzt in die Finger bekäme, dann … Vor Wut wurde ihm fast schwindelig.
Weiß der Teufel, was das alles auslösen wird?, dachte er. Wenn die Polizei erst einmal damit begonnen hat, ihre Nase in alles hineinzustecken, dann wird es für mich ziemlich kritisch. Irgendetwas musste er tun, jetzt, sofort. Er fischte sein Handy vom Schreibtisch und wählte, zum x-ten Mal an diesem Vormittag, Irinas Mobilnummer. Als er auch diesmal keine Verbindung bekam, warf er das Gerät zornig auf den Schreibtisch zurück. Da kam ihm plötzlich ein neuer unangenehmer Gedanke: Womöglich hatte diese Schlampe sich abgesetzt!
Wahrscheinlich hatte sie auch noch Geld mitgehen lassen. Das musste er gleich kontrollieren. Danach würde er sich um den Mann kümmern, den er im Verdacht hatte, Alicijas Quelle gewesen zu sein. Eigentlich kam dafür nur einer in Frage.
17
Olga drückte mit zitternden Fingern ihre dritte Zigarette aus und lehnte sich im Stuhl zurück. Dann hob sie den Kopf und blickte mit geröteten Augen die Frau an, die ihr gegenübersaß und geduldig wartete. Eine komische Frau, dachte Olga. Ganz anders als die Frauen im Milieu, aber irgendwie hatte sie auch etwas Vertrautes,
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