Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Aber ich hab a gute Zeit gehabt. Mir ham vielleicht gefeiert damals. Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll, verstehst? Solche Joints ham mir gebaut.« Er hielt die Hände Schulterbreit auseinander, und seine Augen leuchteten, dass man es ihm fast glauben mochte. Wallner lächelte, als Claudia ihn ansah.
»Und was machst du so?«, wollte Nissl von Claudia wissen.
Die bot ihm eine Zigarette an, die er gerne nahm, und gab ihm und sich selbst Feuer. »Ich bin Staatsanwältin«, sagte sie und blies den Zigarettenrauch ins Feuer.
»Ah geh!« Nissl hauchte den Rauch mit spitzem Mund in die föhnige Nachtluft, als genieße er eine exquisite Havanna. »Machst du auch Mord?«
»Bis jetzt hatte ich erst einen. Aber – ja, mach ich.«
»Magst noch an zweiten Mord haben?«
»Wieso? Willst du heute Abend Ärger machen?«
Nissl dachte ein paar Sekunden über Claudias Bemerkung nach, dann prustete er los wie ein kleines Mädchen. »Haha, der war gut.« Nissl kriegte sich kaum ein und musste schließlich husten und sich die Lachtränen aus den Augen wischen. »Ob ich Ärger machen will! Haha. Nein, nein. Ich hab was anderes gemeint.«
»Was denn?«
»Kennt’s ihr die Leiche in dem Glassarg?«
»Schneewittchen?«
»Nein, die andere. Die in Dürnbach.«
»Ich kenn sie nicht. Hast du davon gehört?« Sie sah Wallner an. Der zuckte nur mit den Schultern.
»Die wo in Dürnbach liegt, die hat natürlich nichts mit Schneewittchen zu tun. Die gibt’s ja nur im Märchen. Aber der Sarg schaut so aus. Gläsern eben, aus lauter Edelsteinen.«
»Wo soll das denn sein? Die haben doch gar keinen Friedhof in Dürnbach?«
»Doch. Den Soldatenfriedhof von die Amerikaner. Aber das Grab ist auch net am Friedhof.«
»Sondern?«
»Unter einer Kirch. Ich hab da mal übernachtet. Und da bin ich zufällig draufgestoßen.«
»In dem Edelsteinsarg war tatsächlich eine Leiche?« Claudia zog den Kragen ihrer Jacke über die Ohren und fröstelte.
»Aber ja. Die war mausetot.«
»Na ja«, sagte Wallner. »Unter Kirchen sind ja öfter Gräber.«
»Aber das war geheim. Das hat keiner gekannt. Ich hab herumgefragt. Da hat keiner was gewusst davon. Auch der Gmunder Pfarrer nicht. Und der hätt’s wissen müssen, weil die Kirche zu ihm dazugehört.«
»Hast du das Grab der Polizei gemeldet?«
»Polizei? Nein. Bestimmt net.«
»Warum nicht?«
»Ich hab’s net so mit der Polizei.« Nissl warf seine Kippe ins Feuer. »Nix gegen euch beide. Gott bewahre. Aber so allgemein. Mir halten a bissl Abstand – die Polizei und ich.«
»Du weißt also nur, dass da irgendwo unter einer Kirche eine Leiche liegt. Aber du weißt nicht, wer das ist?«
»Doch. Frieda hat sie geheißen. Und noch irgendwie. Aber das hab ich vergessen. Wenn’s euch interessiert, zeig ich sie euch.«
»Klar«, sagte Wallner. »Wenn wir wieder unten sind, fahren wir mal hin.«
»So machen wir’s«, sagte Nissl und verabschiedete sich auf die Toilette.
»Glaubst du, da liegt wirklich eine Leiche im Glassarg?«, fragte Claudia.
»Ganz bestimmt nicht«, sagte Wallner, lachte und rückte näher ans Feuer, denn ihm war kalt.
6
2. Mai 1945
S ie hatte die Nacht wach gelegen und die SS-Leute beobachtet. Zu Beginn war es finster gewesen in der Scheune. Schneewolken hatten den Himmel verdeckt. Dann war die Wolkendecke aufgerissen, und durch die Spalten in der Holzverkleidung war Licht hereingedrungen. Das Licht einer hellen Frühlingsnacht. Erst fünf Tage war es her seit Vollmond. Die Scheune lebte und war voller Geräusche. Achtzig Frauen, die sich im Schlaf umdrehten, schnarchten und mit erstickten Schreien hochschreckten. Die SS-Leute hatten sich vom Bauern Schnaps geben lassen und waren im Rausch eingeschlafen. Auch die beiden Wachen, die am Scheunentor auf Stühlen saßen. Die Köpfe waren ihnen auf die Brust gefallen. Beinahe entspannt sahen sie aus. Nur ihre Sturmgewehre ließen sie auch im Schlaf nicht los.
Frieda hatte Angst zu sterben. Die Todesangst war an sich nichts Besonderes mehr, sie begleitete Frieda seit Jahren. Aber heute Nacht war die Todesangst anders als sonst. War sie die letzten Jahren dumpf und zur Gewohnheit geworden, immer öfter begleitet von dem Gedanken, es sei vielleicht besser, wenn endlich Schluss wäre, so war mit einem Mal die Hoffnung zurückgekehrt.
Vor ein paar Tagen hatte sie das erste Mal Geschützlärm gehört und eine Viertelstunde geweint vor Glück. Amerikanische Panzer rückten von Westen heran und würden sie befreien – wenn
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