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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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zeigte, von der Rute abspulen musste, dann hätte er vielleicht eine Chance gehabt, aber die Beherrschung von Rute und Rolle entzog sich ihm. Er ließ die Leine zu spät locker, wenn er sie auswarf, wodurch der mit dem Köder bestückte Haken gerade mal einen knappen Meter vom Boot entfernt landete. Oder er war zu früh dran und der Haken sauste nur Millimeter an seinem Ohr vorbei. Er kämpfte einen aussichtslosen Kampf gegen Zypressen, verwirrte die Leinen zu gordischen Knoten und musste sich von Duchamp befreien lassen. Er erdrosselte sich beinahe, als er den Haken in Äste warf, befreite unabsichtlich mehr als einen Fisch, den er hätte fangen können, als ihm die schlüpfrigen Scheißer wieder entglitten. Angeln war wirklich so entspannend. Die ganze Zeit kicherte Duchamp ausgesprochen amüsiert vor sich hin, und Dorcilus holte einen Fang nach dem anderen ein, als hole er sie auf dem Fischmarkt aus dem Eis.
    Das waren die sauren Trauben, die diesen Abend nur umso angenehmer machen würden.
    Finch Webster litt an den Nebeneffekten einer ernsthaften Identitätskrise. Er war zweiunddreißig Jahre alt, die dritte Generation seiner Familie, die in Louisiana geboren und aufgewachsen war, und dennoch passte er nicht in die vorgegebenen Raster. Er war kein Cajun und auch kein Kreole. Fest in der Innenstadt verschanzt, war er doch kein armer Coonass, und er war auch zu liberal, um als Reaktionär durchzugehen. Er war nichts. Und es half ihm auch überhaupt nicht, dass seine Vorfahren zu Beginn dieses Jahrhunderts aus Delaware gekommen waren.
    Aber in letzter Zeit schien sich sein Glück zu drehen und es öffnete sich eine Nische für ihn. So etwas geschah, man hielt sich auf den richtigen Straßen auf, war Kunde in den passenden Läden, erwies den entsprechenden Leuten den angemessenen Respekt. Das Glück lächelte ihm zu, die Glücksgöttin war ihm zugetan. Diese angesehenen Männer hatten einige niedere Jobs springen lassen, und Finch hatte im vergangenen Jahr Mengen an Schmuggelware aus New Orleans nach Baton Rouge und Shreveport geschafft. Er leistete gute Arbeit, hatte es nicht vermasselt, war nicht gierig geworden und hatte keinen größeren Anteil vom Kuchen verlangt, bevor er sich entsprechend bewiesen hatte.
    Ein Ort, an dem man sich zu Hause fühlt, Menschen, zu denen man gehört. Das war nicht zu viel verlangt vom Leben.
    Nahm man mal diesen Kerl, diesen haitianischen Flüchtling, Dorcilus Fonterelle. Angesichts seiner französischen Herkunft hatte er mit Emile Duchamp wahrscheinlich mehr gemeinsam als Finch. Eine seltsame Welt. Dorcy tauchte vor sechs Jahren auf wie ein Findling auf der Türschwelle Amerikas. Er und zwölf andere, die alle keine Liebe für Jean-Claude Duvaliers Regime in Haiti empfanden, hatten sich in ein fünf Meter langes Ruderboot gequetscht, es geschafft, erfolgreich der Küstenwache aus dem Weg zu gehen, und waren Tage später an die Küste von Südflorida gespült worden. Zwei waren tot, der Rest dehydriert und von der wütenden Sonne versengt. Dorcilus war der Einzige, dem man Asyl gewährte, da er irgendwie beweisen konnte, dass sein Leben von der Geheimpolizei bedroht wurde. Die restlichen Überlebenden sah man als Wirtschaftsflüchtlinge an und deportierte sie zurück in die Heimat. Dorcilus migrierte in den Nordwesten nach New Orleans. Als Fabrikarbeiter lebte er nun den amerikanischen Traum und zahlte dreihundert Dollar im Monat für Miete.
    Es war wohl einfach Losglück, dass er im selben Apartmenthaus geendet war, dachte Finch. Er war schon zwei- oder dreimal mit Dorcy um die Häuser gezogen, bevor man ihn dafür bezahlt hatte. Sie stürzten sich in die Menge auf der Bourbon Street und besuchten einige Shows am Strip. Die einfachen Instinkte konnten auch zwischen den unterschiedlichsten Männern eine Brücke bilden.
    Finch mochte ihn. Wirklich.
    Aber ein Job war ein Job.
     
    Am Abend legte die Natur ein eindrucksvolles Zeugnis dafür ab, warum das Bayou Rouge diesen Namen trug. Die Sonne würde noch etwa eine Stunde lang nicht untergehen, stand aber schon tief genug, um Land und Marschen in durch die Bäume gefiltertes Licht zu tauchen und ebenso wie das Wasser dunkelrot zu färben. Es war gleichzeitig beeindruckend und kraftvoll, flüchtig und ewig.
    Emile Duchamp brachte sie zurück zum Dock und sie kletterten aus dem Boot. Dorcilus strahlte, als er seine Schnur mit sich schleppte, die fast zu schwer war, um sie mit einer Hand tragen zu können. Finch kratzte sich eigentlich

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