Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
nichts zu den zierlichen italienischen Pumps zu sagen, die sie in einem der teppichleisen Läden an den Fuß zog. Richard konnte das. Er schlug ihr vor, sie solle doch mal den dort anprobieren, der zwar teurer, aber glücklicherweise in ihrer Größe auch gar nicht mehr vorhanden war. Und so war der Moment weiblicher Instabilität angesichts von Schuhen nach kurzer Krise gemeistert.
Siehst du mal! So spricht man mit einer Dame von ausgefeiltem und mit Geld unterfüttertem Stil. Sex ist nicht alles! Hätte mir aber an diesem Morgen durchaus gereicht. Nur merkte sie es nicht. Dabei heißt es doch immer, Frauen merken so was. Vermutlich aber war Derya viel zu sehr damit beschäftigt, Richard mit lächelnden Lippen, Händen im Haar und schimmerndem Blick ihr Interesse zu signalisieren und herauszufinden, ob er es merkte, und wenn ja, ob er bereit war einzusehen, dass ich unter seinem Niveau war.
Okay: Die Passage streichen wir später. Sonst heißt es nur wieder, ich sei frauenfeindlich. Oder kurdinnenfeindlich. Das hat sich schnell im weiblichen Konkurrenzgerangel. Aber pass auf, Derya, ich hab es nicht nötig, um Richard zu feilschen. Versuch dein Glück. Ich lehne mich da ganz entspannt zurück.
Sein Blick suchte ohnehin nur nach einer Raucherkammer.
»Island will jetzt«, schwärmte Derya, »Zigaretten nur noch auf Rezept in Apotheken verkaufen. Das Rezept bekommt der Raucher nur, wenn er ernsthaft aufhören will, es aber nicht schafft. Und Zigaretten einschmuggeln wird verdammt schwer auf der Insel.« Sie lachte, wie Menschen lachen, wenn andere nicht dürfen, was sie selbst nicht wollen.
»Wer will denn in so einer Gesellschaft leben?«, bemerkte Richard düster. »Sie?«
»Aber Rauchen ist ungesund!«
»Apropos ungesund«, sagte ich. »Was ich Sie schon immer fragen wollte, Frau Doktor Barzani, wo waren Sie eigentlich an dem Freitag, an dem Rosenfeld starb?«
Sie schaute sich nach Richard um, aber der musterte die Auslage des Tabakladens. »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.«
»Wir sind zusammen unterwegs. Da sollte ich wissen, ob ich Ihnen vertrauen kann.«
Sie zog spöttisch die Brauen hoch. »Kann ich Ihnen denn vertrauen?«
Ich trat an sie heran und fasste sie unterm Kinn. »Liebste Derya, das kannst du halten wie der auf dem Dach. Aber wenn jemand auf dich schießt, werde ich mich vor dich stellen.«
Sie schüttelte den Kopf aus meiner Hand. »Wer soll denn auf mich schießen? Das ist doch lächerlich!«
Ich grinste. »Hattest du ein Verhältnis mit Rosenfeld?«
»Hören Sie … Ich wüsste nicht, dass ich Ihnen das Du angeboten hätte.«
»Wenn ich auf Angebote warten würde, käme ich nie zu was. Also: Was ist? Oder hat die kleine Desirée den Stich gemacht?«
»Das geht mir jetzt zu weit. Und im Übrigen war ich in Berlin an dem Freitag. Bei meinem Freund.«
»Oh!«
In diesem Moment wurde unser Flug aufgerufen. Unnötige Hektik brach aus.
Teil 2
Die Straße der Toten
»Es ist wirklich an der Zeit, dass die Menschheit sich des Wesens der Seele bewusst wird, denn es stellt sich allmählich mit immer größerer Deutlichkeit heraus, dass die schlimmste Gefahr, die dem Menschen je drohte, vonseiten seiner Psyche kommt und damit aus jener Ecke unserer Erfahrungswelt, von der wir bislang am wenigsten Kenntnis hatten.«
C. G. Jung, Vorrede zu Spuk von Fanny Moser, 1950
20
Kurz vor zehn rollten wir in einer Boeing 737 der Kim Royal Dutch Airways hinaus aufs Feld und dröhnten uns ein für den Start. Die Flugbegleiterin führte ihr Sauerstoffmaskenballett auf. Wieder hatte Richard mich ans Fenster gescheucht. Den Rucksack mit Cipión hatte ich zwischen meine Füße geklemmt. Er schaute vorwurfsvoll.
Und wieder kippte die Welt unter mir weg und wurde kleiner. Gleich darauf umhüllte uns weißes Nichts. Die Flugbegleiterinnen begannen damit, Wagen durch den Mittelgang zu schieben. Ein Flug ist nur echt mit Tomatensaft.
Der Pilot rechnete mit einer Flugzeit von einer Stunde und siebenundzwanzig Minuten und machte uns keine Hoffnung, dass wir den Kanal, die Kreidefelsen von Dover oder irgendeinen anderen Schnipsel der Insel sehen würden.
Ich studierte die Karte mit den Notausgängen und Hinweisen zur Kotztüte, las das Hochglanzmagazin, das über Cipións Kopf im Netz des Sitzes vor mir steckte, und ließ den Blick über die Haarbüschel schweifen, die über die Lehnen hinausragten. Mir war langweilig.
»Holt McPierson uns vom Flughafen ab?« Richard gab meine Frage per Blick an
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