Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
abschätzig.
»Oder anders«, sagte Richard. » 8 plus 3 ergibt 11 . Das ist in der Zahlenmystik eine böse Zahl. Sie ist eins weniger als die zwölf Apostel, denen Judas als Verräter abging.«
»Die Zahl des Verrats?«
»Wohingegen die beiden Zahlen, aus denen sie zusammengezählt wird, zwei gute Zahlen sind: Die 8 steht für das Jenseitige und Unendliche, die 3 für die Dreifaltigkeit Gottes.«
Derya blickte den Rechenzauberer erstaunt an.
»Und das bedeutet?«, fragte ich.
»Nichts«, antwortete Richard. »Dazu fallen mir nur die Hendeka ein, die Elfmänner, die im alten Athen als Gerichtsbehörde im Strafvollzug fungierten. Jedes Jahr wurden zehn Männer mit einem Schreiber dazu bestimmt, Gefängnis und Hinrichtungen zu beaufsichtigen. Wer auf frischer Tat ertappt wurde und die Tat gestand, wurde sofort inhaftiert, übrigens auch hingerichtet. Wer die Tat unter Eid leugnete, bekam ein Gerichtsverfahren.«
Derya lachte verblüfft.
»Also immer leugnen, nie gestehen«, sagte ich. »Und wie wär’s, wenn beides gilt? Die Zahl 23 steht für Psi und die 11 steht für einen Verrat, begangen von Rosenfeld, der dafür hingerichtet wurde.«
Richard schlitzte die Augen. »Ja, aber wem gilt die Nachricht? Wer soll sie verstehen?«
»Wir? Die Polizei?«
»Unwahrscheinlich, Lisa. Nachrichten an Ermittler erhöhen das Risiko, gefunden zu werden. Darüber hinaus muss die Polizei nicht wissen, warum jemand ermordet wurde. Nicht einmal ein Richter muss das wissen. Es wirkt sich bei Mord nicht aufs Strafmaß aus.«
»Aber das Motiv unseres Tuns ist doch enorm wichtig«, wandte Derya ein.
»Für Psychologen ja, für Journalisten auch. Die wollen immer wissen, warum jemand eine schaurige Tat begangen hat. Aber für den Richter ist es nicht unbedingt von Bedeutung. Ein Mord wird nicht entschuldbar, wenn wir wissen, dass der Täter glaubte, etwas Gutes zu tun.«
»Da haben Sie wohl recht.«
»Also keine Nachricht?«, vergewisserte ich mich. »Aber immerhin hat sich jemand die Mühe gemacht, die Uhr für alle sichtbar anzuhalten.«
Richard lächelte. »Vermutlich, um uns glauben zu machen, Rosenfeld sei gegen zwanzig Uhr verstorben und es habe dabei ein Psi-Ereignis gegeben.«
Derya Barzani lachte auf. »Ach, Sie denken, es hätte etwas mit Gabriels Tod zu tun. Aber die Uhr steht schon seit letzten Sommer.«
Zerplatzt! Ich schluckte. »Und seid ihr weitergekommen?«
Derya Barzani leuchtete neben Richard auf. »Ich glaube schon.«
Hach, was für ein hübsches Paar! Beide in gebügelter Wäsche und mit Reife in den Gesichtern. Derya hatte schon vor Jahren ihren Stil gefunden, den sie souverän und ohne unnötige Provokationen beherrschte. Richard vor noch längerer Zeit. Da passte ich nicht rein. Ich schämte mich meiner Gender-Kampfausrüstung, meiner Narbe, meiner trotzigen Miene.
»Am simpelsten«, sagte Richard, »codiert man eine Zahl, indem man sie mit einer andern in Beziehung setzt, beispielsweise man teilt das Ganze durch eine Zahl und schreibt sich das Ergebnis auf. Doch dann braucht man einen Taschenrechner, um zurückzurechnen. Und er muss in diesem Fall zwanzigstellige Zahlen darstellen.«
»Ich ziehe von meinen Pin-Ziffern immer eine bestimmte Zahl ab«, sagte ich.
»Auch eine Möglichkeit. Die richtige Nummer spielt aber für uns nur dann eine Rolle, wenn das Konto nicht auf den Namen Rosenfelds läuft. Nummernkonten sind an sich ja keine anonymen Konten. Der Inhaber ist bei der Bank halt nur wenigen Bankmitarbeitern bekannt. Ich werde diese Karte an das Notariat weiterleiten, das Rosenfelds Nachlass regelt. Im Erbfall wird die Bank dem Notar Auskunft geben.«
»Dann hat Rosenfelds Tochter also wohl doch einiges zu erben«, bemerkte ich.
»Fragt sich nur, ob sie es auch gewusst hat«, erwiderte Richard. Hinter seiner Stirn entstand derselbe Gedanke wie bei mir: Immerhin kamen damit nun doch noch andere Interessen ins Spiel.
»Und die andere Frage ist«, sagte ich, »wo hat Rosenfeld das Geld her?«
»Das können wir jetzt nicht klären«, sagte Richard. »Aber … Frau Barzani, wäre es wohl möglich, einen Blick in die Daten der Kalteneck-Experimente zu werfen?«
Derya strich sich das Haar hinters Ohr. »Nun … ich vermute, Sie möchten die Namen der Versuchsteilnehmer sehen. Doch dafür bräuchte ich ein Passwort. Was ich hier habe, sind Excel-Tabellen von Testreihen. Damit können Sie, fürchte ich, nichts anfangen.«
Richard lächelte siegessicher. »Excel-Tabellen sind mein täglich
Weitere Kostenlose Bücher