Totenstimmung
auf keinen Fall frühzeitig aufgeben würde. Frank war so konzentriert, dass er keinen Blick für die Jogger hatte, die ihm in unregelmäßigen Abständen entgegenkamen und freundlich grüßten. Er wollte die Strecke schaffen, am besten in seiner alten Zeit.
Die gleichförmige Bewegung hatte für ihn stets etwas Meditatives gehabt. Beim Joggen hatte er sich entspannen, seine Gedanken sortieren können. Oder er hatte sich mit seiner Beziehung zu Lisa beschäftigt, die in den vergangenen Monaten auf eine harte Probe gestellt worden war.
Aber dieses Mal war sein Gehirn wie verstopft. Er hörte nur seinen keuchenden Atem und fühlte den Schweiß, der ihm in den Augen brannte, während er dem schmalen Flusslauf Richtung Schloss Rheydt folgte.
Frank versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Zwei Mundharmonikas: Sie waren sicher ein Zeichen. Aber wofür? Und war es tatsächlich für ihn bestimmt? Die Kollegen der MK Elvira waren sich da sicher. Sie hatten ähnliche Fälle zusammengetragen, in denen die Mörder »ihren« Ermittlern »persönliche« Hinweise hinterlassen hatten. Aber was sollten die Bluesharps bedeuten? Die warme Maisonne brachte ihn nur noch mehr zum Schwitzen. Das unbeschwerte Zwitschern der Amseln, Blaumeisen und Rotkehlchen hörte er nicht.
Zwei Stunden später saß Frank wieder im Präsidium.
»Du siehst nicht gerade entspannt aus. Hast du dich beim Joggen übernommen? Und ich wäre besser auch zu Hause geblieben. Ich hätte auf Marion hören sollen.« Ecki schniefte. »Draußen scheint die Sonne, und mir läuft die Nase. Ekelhaft.«
»Weißt du, was mich die ganze Zeit beschäftigt?«
Ecki schüttelte den Kopf. »Dass du doch zu dick bist?«
»Warum steckte in dem Beutel, den ich geschickt bekommen habe, eine tote Fliege?«
»Weil sich der Typ, der dir den ganz besonderen ›Fingerzeig‹ geschickt hat, einen Spaß machen wollte?«
»Hör auf, Witze zu machen.«
Ecki gähnte. »Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Das muss gar nichts bedeuten.«
»Schmeißfliegen sind Totenfliegen.«
»Du spinnst.«
»Guck im Internet nach.«
Ecki beugte sich eher widerwillig über die Tastatur seines PC s. Er hatte immer noch Schnupfen und wenig Interesse an toten Fliegen.
»Und?«
»Moment, Lord of the flies, ich bin nicht so schnell. Hab’s gleich.« Ecki murmelte etwas Unverständliches und rutschte auf seinem Bürostuhl hin und her. »Hm.«
»Was sagt uns das schlaue Netz?«
Ecki sah an seinem Bildschirm vorbei Frank an. »Dass sie bis zu fünfzehn Millimeter lang werden kann, grünblau metallisch glänzt und die Wangen des Kopfes gelb-rot sind.«
»So sieht sie aus.«
»Die Weibchen legen ihre Eier in Aas ab. Die Entwicklung der Larven ist nach durchschnittlich achtunddreißig Tagen abgeschlossen. Die ausgewachsenen Tiere saugen Flüssigkeit von Aas oder Kot und ernähren sich von Blütenpollen.«
»Was heißt das jetzt für meine Fliege?«
»Die abgeschnittenen Finger waren doch relativ frisch. Weiß nicht, vielleicht ist die Tote auf einem Bauernhof umgebracht worden, dort gibt es massenweise Fliegen. Oder es gibt noch andere Leichen, die schon älter sind.«
»Du meinst, irgendwo liegen Tote, auf denen Schmeißfliegen sitzen? Ecki, jetzt übertreibst du aber.«
»Wir suchen einen Psychopathen, vergiss das nicht. Wer weiß, was er uns als Nächstes liefert.«
»Du meinst, da kommt noch was?«
»Wir sollten uns den Dohrer Busch noch einmal ansehen.«
Frank schüttelte den Kopf. »Was soll das bringen? Die Kollegen haben das Waldstück millimeterweise abgesucht und nichts gefunden. Da ist nichts, außer einem stillgelegten Freibad, einem Tennisklub und einer Tennishalle.«
»Und dem offenen Vollzug.«
»Das haben Thiel und Bremes schon überprüft. Die Jungs dort sind sauber. Und es gibt nur ganz wenige Handys, die sich im fraglichen Zeitraum im Bereich Dohrer Busch eingeloggt haben. Sie gehören allesamt unbescholtenen Dohrern.«
»Trotzdem kann jeder in der Nachbarschaft dort als Täter infrage kommen.«
»Und wenn der oder die Unbekannte gar nicht aus der Ecke kommt, sondern Elvira Theissen nur in den Wald gelockt hat?«
Ecki seufzte und gähnte gleichzeitig. »Komm doch nicht immer mit neuen Ideen.«
Es klopfte verhalten, und die Tür öffnete sich langsam. Guido Bremes, den alle nur Bremse nannten, hielt eine dünne Kladde in der Hand. »Kann ich reinkommen?«
»Logisch.« Frank deutete auf den freien Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Was gibt’s?«
»Ich hab mit der
Weitere Kostenlose Bücher