Totenstimmung
mit Behinderten zu tun haben.«
Es klopfte an der offenen Tür.
Lisa sah sich um und bemerkte einen jungen Mann, der schüchtern am Rahmen lehnte.
»Tommy, komm rein. Was gibt’s?« Claßen lächelte aufmunternd und wies auf Lisa. »Das ist eine neue Kundin.«
Tommy trat auf Lisa zu, lächelte sie fröhlich aus dicken Brillengläsern an, ergriff ihre Hand und machte einen tiefen Diener. »Ich heiße Tommy. Ich arbeite schon drei Jahre hier. Morgen kommt meine Mama mich besuchen.«
»Freut mich für dich, Tommy. Ich heiße Lisa. Du freust dich sicher auf ihren Besuch.«
Tommy sah erst zu Claßen, bevor er antwortete. »Wir gehen in den Zoo. Ich habe eine Zwillingsschwester. Die ist genauso alt wie ich. Hast du auch eine Schwester?«
Lisa schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Aber du hast bestimmt einen Mann. Wie alt ist dein Mann?«
»Ich bin nicht verheiratet.«
Tommy strahlte über das ganze Gesicht. »Du bist schön. Lisa.« Er nickte und sah Claßen an.
»Tommy, was gibt’s?« Friedhelm Claßen hatte seine Stimme um eine Nuance erhoben.
Tommy strich sich verlegen über sein grünes Sweatshirt, an dem Sägemehl hing. »Meine Mama kommt morgen.«
»Ich weiß, Tommy. Deshalb hast du ja auch morgen frei.«
Tommy strahlte wieder. »Im Zoo gibt es Bären.«
»Das ist schön. Bist du mit deinem Stuhl fertig?«
Tommy besann sich einen Augenblick. »Schon lange. Meine Mama kommt morgen.«
»Möchtest du mit einem neuen Stuhl beginnen?«
Tommy schüttelte den Kopf. »Meine Mama kommt morgen.«
»Das dauert noch eine Weile. Du musst noch warten, Tommy. Noch einmal schlafen.«
Tommy lächelte sein breites Lächeln, hob dabei den Kopf ein wenig und schob mit einem Finger seine Brille gegen die Nasenwurzel. »Auf Wiedersehen, schöne Frau Lisa.« Er verbeugte sich wieder formvollendet und verschwand.
Friedhelm Claßen lächelte ihm hinterher. »Das war Tommy. Ein echter Sonnenschein. Immer gut gelaunt. Und ein echter Fachmann beim Flechten. Wenn Sie einen seiner Stühle erwischen, haben Sie ein wahres Kunstwerk zu Hause.«
Lisa stand auf. »Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben, aber nun muss ich wirklich los. Ich muss meinen Unterricht für morgen noch vorbereiten.«
Claßen nickte. »Warten Sie, ich hole Ihren Stuhl. Er ist übrigens ein echter Tommy.«
Einen Augenblick später kam er mit ihrem nun fertig restaurierten Sitzmöbel zurück.
»Dann habe ich ja jetzt einen Stuhl, mit dem ich eine Geschichte verbinden kann.« Lisa schmunzelte.
»Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen. Ich bin sicher, dass Ihnen auch die übrigen Stühle gefallen werden.«
Lisa reichte Claßen die Hand. Der Werkstattleiter hatte eine angenehm weiche Hand und doch einen festen Händedruck. »Ich höre dann von Ihnen?«
Claßen hielt Lisas Hand einen Augenblick länger fest als nötig. »Schon bald.«
Auf dem Weg zum Parkplatz schüttelte Lisa den Kopf. Hatte Claßen gerade versucht, sie anzubaggern? So ein unerwarteter Flirtversuch brachte ein wenig Farbe in ihren ansonsten nicht gerade erfreulichen Tag. Sie hatte nicht die geringste Lust, über ihre schwierige 10b nachzudenken.
Sie stellte den Stuhl ab und öffnete den Kofferraum. Ein kurzer Blick auf das darin befindliche Durcheinander machte ihr klar, dass sie das kostbare Möbelstück nicht so ohne Weiteres einpacken konnte. Etwas ratlos rieb sie sich den Nacken.
»Meine Mama kommt morgen.«
Lisa drehte sich um. Vor ihr stand Tommy und grinste sie neugierig an.
»Das ist schön.« Lisa überlegte, den Stuhl auf den Rücksitz zu legen. Das frisch lackierte Holz sollte nicht schon beim Transport verkratzt werden.
»Wie heißt dein Sohn?« Tommy sah ungeniert in den offenen Kofferraum.
»Ich habe keinen Sohn, Tommy.« Lisa öffnete die Tür zur hinteren Sitzbank. Das müsste gehen, dachte sie und stellte ihre Schultasche in den Fußraum.
»Und wie heißt das Mädchen?« Tommy zog hörbar die Nase hoch.
»Ich habe auch keine Tochter.« Lisa hob den Stuhl an und schob ihn mit der Lehne voran auf das Polster.
»Warum nicht?«
Lisa hielt abrupt in ihrem Packversuch inne und hob den Kopf. Fast wäre sie gegen den Türholm gestoßen. Ihr Herz zog sich zusammen. Immer wieder erlebte sie Momente, in denen sie vor Schmerz über die Totgeburt ihres Kindes hätte aufschreien können. Über den Verlust würde sie niemals hinwegkommen. Sie versuchte nur an den Stuhl zu denken.
Umständlich und mit fahrigen Händen schob Lisa den Stuhl weiter, bevor sie
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