Totenstimmung
»ich bin Studentin und möchte eine Arbeit über Logistik schreiben.«
Der Dicke machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Na, dann fragste mal besser den Chef. Der sitzt im Büro und schaukelt sich«, er korrigierte sich, »er sitzt in seinem Büro und schaukelt den ganzen Tag. Ist nämlich gerade Ebbe im Frachtgewerbe. Da hinten geht’s lang.«
Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. »Na ja, und wenn du doch mal nach Schottland willst, denk an Jupp. Der bringt dich überallhin.«
Die großen Buchstaben auf dem Dach der Spedition wiesen ihr den Weg: Sattler & Söhne.
Der weitläufige Betriebshof war asphaltiert. Es roch nach warmem Teer und Gummi. Auf markierten Flächen standen mehrere Auflieger. Im hinteren Bereich waren drei Lastzüge ordentlich nebeneinander geparkt. Ansonsten war der Hof bis auf einige Pkws leer.
An das verklinkerte Hauptgebäude mit den großen Rolltoren war ein kleiner Bürotrakt angebaut. Hinter einer der großen Fensterscheiben sah Jasmin Köllges einen Mann stehen, der sie offensichtlich schon die ganze Zeit beobachtet hatte. Entschlossen drückte sie die Metalltür auf, neben der das Schild ›Büro‹ an die Wand geschraubt war.
Sie wurde tatsächlich schon erwartet. Die Kommissarin trat an den langen Tresen, der die Schreibtische von der Kundschaft oder den Fahrern trennte, deren persönliche Ablagefächer in einem Holzkasten untergebracht waren, der auf einer Seite des offenen Schalters an der Wand stand. Jasmin Köllges warf einen schnellen Blick auf die Einrichtung, bevor sie an den Schalter trat. Das Büro wirkte schon etwas heruntergekommen, die Schreibtische waren alt, das Furnier an einigen Stellen abgerissen. Auf den Tapeten, den Bildschirmen der PC s und der Telefonanlage lag ein gelber Nikotinfilm. Irgendwo blubberte eine Kaffeemaschine.
»Womit kann ich Ihnen helfen, gnädige Frau?«
Jasmin Köllges zeigte ihren Dienstausweis. »Ich habe ein paar Fragen an Sie, Herr …?«
Der Mann zog an seiner Zigarette und hob erstaunt die Augenbrauen. »Kuchenbauer, Franz Kuchenbauer. Ich bin der Geschäftsführer. Ich hoffe, Josef hat Sie nicht belästigt? Jupp neigt manchmal zu etwas derben Späßen. Aber er ist eine Seele von Mensch, völlig harmlos.«
»Wie heißt der Mann?« Jasmin Köllges zeigte sich unbeeindruckt. Kuchenbauer litt augenscheinlich unter dem gleichen Ich-bin-unwiderstehlich-Syndrom wie der Dicke. Jedenfalls versuchte er seine Zigarette wie Humphrey Bogart zu rauchen.
»Josef Heimes. Der Mann gehört quasi zum Inventar. Seit dreißig Jahren sitzt er auf dem Bock. Absolut zuverlässig.« Kuchenbauer lachte. Es klang unsicher.
»Fährt er nur die Schottlandtour?«
»Fast immer. Nur wenn einer der anderen Fahrer mal ausfällt, springt er ein.«
Sie nickte. »Sie fahren die nördlichen Routen?«
Franz Kuchenbauer streckte seine hagere Figur. »Unser Unternehmen Sattler & Sohn gibt es schon in der dritten Generation. Wir bieten unseren Kunden das ganze Portfolio. Europa und zurück. Außerdem sind wir stark im Überseehandel. Wir kooperieren mit allen führenden Speditionen weltweit. Unser Ruf ist untadelig.«
Aus der Nähe betrachtet, machte das Büro mit den vier Schreibtischen einen noch desolateren Eindruck.
Kuchenbauer hatte ihren Blick bemerkt. »Eine Kollegin ist krank, die anderen beiden sind in der Mittagspause. Ich bin sozusagen die Stallwache. Zum Glück ist gerade nicht viel los.«
Während er sprach, hatte er sich an seinen PC gesetzt und durch einige Anwendungen geklickt, die Jasmin Köllges von ihrem Standort aus nicht einsehen konnte.
Kuchenbauer runzelte die Stirn, drückte dann den Zigarettenrest in einem schmuddeligen Aschenbecher aus und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. »Nehmen Sie doch Platz, bitte. Kaffee?«
Jasmin Köllges setzte sich und schüttelte den Kopf.
Kuchenbauer lächelte. »Kann ich Ihnen auch nicht empfehlen, ist hammerstark und kohlschwarz. Das haut den stärksten Trucker um.«
»Sind Sie ausgebucht?« Der Satz war kaum über ihre Lippen, da wusste sie schon, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
»Nö, ich hab noch nix vor heute Abend.« Kuchenbauer räusperte sich, als er den Blick der Polizistin bemerkte. Mit der Frau war nicht gut Kirschen essen, das war mal klar. Er versuchte ein überlegenes Lächeln. »Nein, im Ernst. Ich, das heißt wir haben volle Auftragsbücher. Keine Spur von Konjunktureinbruch. Das liegt an unseren guten Beziehungen. Wir fahren immer und überallhin. Toi, toi, toi.«
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