Totenstimmung
hatte gezeigt, dass es funktionierte. Nun ging es an die letzten Vorbereitungen auf das große Ereignis.
Er legte ihr den Gürtel an. Die Gewöhnungsphase hatte sie erfolgreich abgeschlossen. Sobald die Musik ertönte, ihre Musik, wollte sie ihn sich von allein umlegen.
Ihre unbekümmerte Unschuld war fatal. Nie zuvor hatte er dieses Lächeln gesehen. Es erinnerte ihn an ein unberührtes Schneefeld unter blauem Himmel, so rein.
»Komm, Liebes, komm«, lockte er sie mit leiser Stimme. Sie beugte sich ihm entgegen, bereit für den Tanz mit dem Gürtel. Sie ahnte seine Kraft nicht, aber sie spürte, dass er für sie wichtig war.
»Sprich nicht, wiege dich nur in dir selbst. Sieh in den Spiegel, denn du bist schön«, flüsterte er.
Sie strebte ihrem Bild entgegen, tastete es ab, gluckste vor Erregung und Freude, sagte aber kein einziges Wort.
Sie hatte gelernt, ihm zu gehorchen, sie wusste, dass hinter dem weichen Schmelz seiner Stimme eisige Kälte saß.
Sie hatte seine Härte zu spüren bekommen. Sie war erstaunt gewesen, geradezu erschrocken, hatte sich zu ihm umgesehen, mit ihren Augen um ein freundliches Wort gebettelt. War dann in sich zusammengesunken, damit er sie auffing und ihr von den Schmetterlingen erzählte. Den Schmetterlingen, die fliegen konnten, sogar in ihrem Bauch. Lange danach hatte sie ihren Bauch angesehen und die schönen zarten Schmetterlinge gesucht. Wie kamen sie nur in ihren Bauch?
»Siehst du, er tut nicht weh. Er gefällt dir. Ich sehe es doch. Sei unbesorgt, er ist nicht schwer. Du kannst ihn tragen, niemand sonst. Nur du bist so stark, ihn zu tragen. Sei stolz auf dich. Denn ich bin auch stolz auf dich.«
Er legte ihr den Finger auf den Mund.
»Sei still. Du wirst es spüren, wenn es so weit ist. Du wirst den Schnee sehen und die Wärme. Und du wirst die Sonne sehen, es wird warm sein in deinem Herzen, und du wirst selbst ein Schmetterling sein.«
Er schüttelte nachsichtig den Kopf und nahm ihr vorsichtig den Gürtel ab.
»Warte noch ein Weilchen. Es ist noch früh. Die Schmetterlinge schlafen noch.«
—
Der Wind des vorbeifahrenden Lkws, der auf die Straße Richtung Autobahn bog, fuhr durch ihr Haar. Jasmin Köllges trat einen Schritt zurück. Sie zögerte. Der weitläufige Betriebshof nahm ihr etwas von ihrem Mut.
Welcher Fahrer würde ihr Auskunft geben? Vielleicht der Schwarzhaarige mit dem dunklen Teint und dem düsteren Gesicht, der mit seinem gelben Gabelstapler zwischen einer offenen Ladefläche und einem Rolltor hin und her pendelte? Oder doch der Dicke im Flanellhemd, der kaum in seine Latzhose passte und gerade aus seinem Führerhaus kletterte? Jasmin seufzte. Irgendwo musste sie schließlich anfangen. Aus dem Branchenbuch und von Kollegen von der »Organisierten Kriminalität« hatte sie sich Adressen von Speditionen im Raum Mönchengladbach und dem Kreis Viersen geben lassen. Dabei hatten die Kollegen frotzelnd von der »Stecknadel im Heuhaufen« gesprochen.
»Tag, schöne Frau. Kann ich helfen? Gute Fahrerinnen können wir immer gebrauchen.« Der Mann hatte sie sofort entdeckt und schlenderte auf sie zu. »Ich sach immer: Lieber einmal Sidney Rome als Paris Dakar.« Er lachte dröhnend.
»Nee, ich suche jemanden, der mir ein bisschen was über den Job als Lkw-Fahrer erzählt.«
Der Dicke witterte seine Chance. »Da biste bei Jupp genau richtig.« Er hielt ihr seine Pranke hin. »Was willste denn wissen, Mädchen? Oder«, seine Augen wurden unstet, »suchst du eine Mitfahrgelegenheit?«
Jasmin Köllges setzte ihr strahlendstes Lächeln ein. »Man weiß nie, was der Tag bringt. Mal sehen, vielleicht.«
Der Dicke rückte vertraulich nahe an sie heran. Sie hatte keine Chance, dem strengen Geruch nach ungewaschener Arbeitskleidung und kaltem Kaffee auszuweichen.
»Ich fahr regelmäßig bis Schottland. Morgen habe ich meine nächste Tour. Irgendwas mit Textilien, ein paar Teile für Webstühle, ein bisschen Elektronik. Nix Wildes.«
Jasmin Köllges schüttelte den Kopf. »Nee, Schottland ist nicht so mein Ding. Außerdem kommt morgen mein Freund.«
Der Dicke legte einen Zeigefinger an sein Auge und nickte verschwörerisch. »Verstehe. Da habt ihr euch sicher eine Menge zu erzählen.«
Du Arschloch, dachte Jasmin und überlegte, wie sie Jupp möglichst schnell loswerden konnte. »Die Wiedersehensfreude ist immer groß. Nein, ich möchte mich ein bisschen über das Speditionsgewerbe informieren. Ich bin«, sie überlegte – was war sie denn? –,
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