Totentanz
Wasserglas, der Gang zur Toilette. Und dann der lächerliche Hut, den ihr die Kleine auf den Kopf drückte, die Sonnenbrille und der Schal, mit dem sie unkenntlich gemacht wurde, und der riesige Trench, den sie ihr über die Schultern stülpte und zuknöpfte, obgleich ihre Hände noch immer gefesselt waren. Pina schob sie zur Tür hinaus, die sie diesmal nicht mit dem Schlüssel versperrte, und anschließend in den Aufzug. Rasch führte sie Tatjana durchs Entree auf die Straße hinaus und drückte sie auf die Rückbank eines ehemals weißen, von Möwenkacke überzogenen Volvos, an dessen Steuer ein hochgewachsener alter Mann saß.
»Mein Mantel ist dir vermutlich etwas zu groß«, sagte er nur. »Aber du mußt ihn sowieso bald ablegen. Den braucht jemand anderes.« Er legte den Schalthebel ein und fuhr los, ohne auf den Verkehr zu achten. Und dann sah Tatjana, daß Pina sich auf dem Beifahrersitz eine blonde Langhaarperücke überstülpte und sie im Kosmetikspiegel richtete.
»Sexbombe«, raunzte der Alte am Steuer und verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen.
Endlich entdeckte Tatjana die Uhr am Armaturenbrett. Der Nachmittag war fast vorbei. Über vierundzwanzig Stunden war sie bereits die Geisel der kleinen Inspektorin. Doch jetzt kam der Moment der Abrechnung.
*
An vier Haltestellen hielt das Tram von Opicina noch und kreuzte zweimal die Via Commerciale, bevor sich die Straße und die Schienentrasse trennten und beide schließlich steil zur Stadt abfielen. Bis dort fuhren die beiden Autos parallel und hielten sich penibel auf der Höhe der Trambahn. Allerdings mußten sie vorher von der Hauptstraße auf einen engen Fahrweg abbiegen, der sich neben den Gleisen den Berg entlangschlängelte. Hier herrschte kaum Verkehr, und Galvano sah im Rückspiegel des Volvo den Subaru mit Drakičs Männern folgen, und dahinter, mit größerem Abstand, Sgubin auf seiner Cross-Maschine, aus deren Auspuff bei jeder Beschleunigung eine blaugraue Abgasfahne stieß.
»Wir sind nicht alleine«, sagte er.
»Damit war zu rechnen«, sagte Marietta, die neben der Drakič saß und sie nicht aus den Augen ließ.
Pina nahm es stumm zur Kenntnis. Als sie mit Laurenti die Details ihres Vorgehens besprochen hatte, waren sie davon ausgegangen, daß Viktor Drakič nichts unversucht lassen würde. Es war klar, daß sie es nicht mit Dilettanten zu tun hatten.
Bis sich Straße und Gleise trennten, hielten sich die Gegner eisern im Blick. Die Blonde auf dem Beifahrersitz spielte lässig mit einer schweren Pistole, die Viktor Drakič trotz der Entfernung als 9mm-Parabellum Beretta Steel-I identifizierte. Eine fünfzehnschüssige Profiwaffe, die auch für kleine Hände geeignet war. Er kannte das Beretta-Sortiment auswendig, schließlich hatte er erst vor ein paar Monaten ein Geschäft eingefädelt, mit dem Tausende fabrikneue Pistolen illegal in den Irak transportiert worden waren. Der Skandal um die renommierte Waffenschmiede versandete allerdings schneller, als er vermutet hatte.
Die Art, wie die Blonde mit der Waffe umging, zeigte einen Profi. Auch sein Gorilla, der hinter ihm saß, starrte die ganze Zeit hinüber. Einmal murmelte er seinem Chef etwas zu. Und wie es schien, war auch die grauhaarige Alte mit dem schwarzen Hund an dem Geschehen interessiert. Nur die beiden Touristen freuten sich über den apokalyptisch anmutenden, grellgelben Sonnenuntergang und den Ausblick über die Stadt. Bei Piščanci jedoch, dort, wo Laurentis Freund Silvano Ferluga den Wein der Stadt anbaute, erfüllte der Ritt der Walküren zum zweitenmal den Straßenbahnwaggon und erregte ihren Unwillen, bis der Mann, der so nahe bei ihnen stand, endlich antwortete.
»Sie sind nicht wie angewiesen alleine gekommen«, sagte die Blonde, während seine Schwester auf der Rückbank zu ihm herüberschaute.
»Das konnten Sie nicht erwarten.« Drakič sprach leise und fixierte seine Gesprächspartnerin durch die Scheiben.
»Sie sind leichtsinnig. Sie haben zwei Aufpasser dabei. Geben Sie dem im hinteren Waggon ein Zeichen, daß er an der nächsten Haltestelle nach vorne kommt.«
Bevor er etwas entgegnen konnte, hatte die Blonde aufgelegt und winkte ihm auch noch eifrig zu, als wäre er ein guter Freund. Drakič gab seinem zweiten Mann ein Zeichen, worauf der sich zur Tür begab und tatsächlich an der nächsten Haltestelle den Waggon wechselte. Er schaute sich mehrfach um. Während das Tram ruckelnd anfuhr, erklang wieder der Ritt der Walküren. Die beiden Touristen
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