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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Beamten im Flur zu sich. Sie ermahnte sie eindringlich, niemanden ins Zimmer zu lassen. »Er schläft endlich«, sagte sie, »und darf auf keinen Fall gestört werden.«
    Galvano und Sgubin nahmen Laurenti in die Mitte und gingen unbemerkt an den Wachen vorbei, denen nicht auffiel, daß eine Person mehr das Zimmer verließ, als vorher eingetreten waren.
    »Und was machen wir, wenn deine Frau dich besuchen kommt?« fragte Galvano, als sie endlich im Aufzug standen, der auf der Fahrt nach unten in allen vierzehn Stockwerken hielt.
    »Ruf sie an und sag, daß ich ein Schlafmittel bekommen habe. Sie soll sich ausruhen.« Wenn alles vorbei und überstanden wäre, würde er sich nach Hause fahren lassen und Laura mit einem Blumenstrauß in der Hand überraschen. Ins Krankenhaus ginge er gewiß nicht zurück.
    *
    Tatjana Drakič wußte nicht, wie viele Stunden sie bewegungslos im Halbdunkel gelegen hatte. Nur Möwengeschrei hatte die Nacht durchdrungen und dreimal die Sirene eines Streifenwagens. Irgendwann in den frühen Morgenstunden war sie gegen ihren Willen eingeschlafen, als sie die gleichmäßigen Atemzüge von Pina Cardareto vernahm. Die Kleine hatte sich wie eine Katze auf dem Sessel zusammengerollt und war bald in tiefen Schlaf versunken, als wäre nichts passiert. Wer zum Teufel war diese Frau wirklich, die ihr anfangs so sympathisch war, daß sie sich unter anderen Umständen sogar mit ihr angefreundet hätte? Sie war zielstrebig, von ungebrochenem Selbstbewußtsein, verfügte sogar über einen eigenwilligen Witz, schien von unbestechlichem Willen zur Unabhängigkeit geleitet und verbiß sich in ihre Arbeit – wie Tatjana selbst. Doch dann hatte sich herausgestellt, daß sie eine größenwahnsinnige, korrupte Polizistin war, die nur versuchte, aus einer zufälligen Begebenheit persönlichen Profit zu schlagen. Sie würde noch sehen, wie schnell sich das Blatt wendete, wenn Viktor die Sache in die Hand nahm. Mit ihrem Bruder hätte diese kleine Schlange keine leichte Hand.
    Sie hatte nicht gehört, daß Pina ins Bad gegangen war, anschließend in der Küche hantierte und dann über sie hinweggestiegen war, um frische Kleider aus dem Schrank zu holen. Sie erwachte mit einem brennenden Schmerz und riß erschrocken die Augen auf. Das Gesicht der Inspektorin war ihrem ganz nah, fies lächelnd hielt sie das Klebeband in der Hand und stieß Tatjana grob auf die Matratze zurück, als sie sich aufzurichten versuchte. Durch die verschlossenen Fensterläden schob sich das erste Tageslicht.
    »Halt’s Maul«, knurrte Pina, »sonst bekommst du nicht einmal zu trinken.« Sie führte Tatjana ein Glas an die Lippen, das diese in großen Schlucken austrank. Etwas Wasser lief ihr aus dem Mundwinkel übers Kinn und den Hals entlang. Pina schenkte nach und sagte: »Das muß reichen. Trink schon.«
    »Dreckstück«, keuchte Tatjana, als Pina das halbleere Glas von ihren Lippen nahm. »Alt wirst du nicht werden. Dafür werde ich sorgen, du …«
    Mit grober Hand hatte Pina ihr wieder den Mund verklebt, bevor sie den Satz beenden konnte, löste ihr die Fußfesseln, riß sie auf die Beine und schob sie durch den Flur ins Bad. »Los, piß dich leer.« Sie riß ihr den Slip bis über die Knie und gab Tatjana einen Stoß, der sie auf die Klobrille fallen ließ. »Ich warte.«
    Tatjana ließ sich Zeit. Erst als Pina damit drohte, sie ins Zimmer zurückzubringen, gab sie nach. Und wenig später lag sie wieder gefesselt auf der Matratze und hörte erneut den Schlüssel in der Tür. Zweimal wurde er im Schloß gedreht. Tatjana war wieder allein. Das Licht, das durch die Lamellen der Fensterläden fiel, gewann schnell an Kontrast auf Wand und Fußboden. Es mußte ein sonniger Tag sein. Nach langem, ungewissem Warten fiel Tatjana wieder in Halbschlaf. Das Gesicht Laurentis tauchte vor ihr auf, das von Viktor, sonnengebräunt und mit schneeweißen Zähnen, die Zelle im Frauengefängnis.
    Tatjana Drakič fragte sich, wie spät es war, als sie wieder aus ihrem Dämmer gerissen wurde. Das Licht, das hereinfiel, war sanfter geworden, doch noch war es Tag. Viele Stunden mußten vergangen sein, denn sie hatte den Verkehrslärm anschwellen hören, danach wieder abklingen, und jetzt nahm er wieder stetig zu. Sie hatte Hunger, und ihr Mund war wie ausgetrocknet. Arme und Beine spürte sie kaum mehr.
    Und wieder stand diese Inspektorin vor ihr, und wie am Morgen wiederholte sich der Vorgang. Der Schmerz, als sie das Klebeband von Tatjanas Mund riß, das

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