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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Köter, der ihr die Hand leckte, ihn ständig anstarrte. Er hinkte fast so stark wie sein Frauchen. Jedesmal wenn der Waggon zu heftig ruckelte, entfuhr ihr ein leises Seufzen. Warum nur hatte sie keinen der anderen freien Plätze gewählt? Drakič ärgerte sich über diese Zudringlichkeit. Natürlich hatte die europäische Wirtschaftskrise immer mehr verarmte Menschen auf die Straße geschickt, aber daß diese respektlose Pennerin auch noch mit seiner Straßenbahn fahren mußte, verstärkte seine aufgestaute Wut. Nach fünf Minuten wechselte Viktor Drakič seinen Platz und ging ein paar Meter nach vorne. Angespannt starrte er durch die Fenster auf die Haltestelle beim Obelisk, der sich das rumpelnde Gefährt gemächlich näherte. Ein älteres Paar wartete dort händchenhaltend. Der Kleidung nach zu schließen, waren sie Touristen.
    *
    Schließlich hatte sie eingesehen, daß es keine andere Möglichkeit gab. Proteo Laurenti krümmte sich zwar mit jeder unachtsamen Bewegung unter den stechenden Schmerzen im Thorax, aber zumindest war der Kopf wieder klar. Die Narkosemittel wirken inzwischen so gezielt, daß das Denkvermögen sturköpfiger Patienten rascher zurückkommt, als es dem Körper recht sein kann. Gereiztheit und Eigensinn vermögen sie noch immer nicht zurechtzurücken, aber in dieser sich unaufhaltsam hysterisierenden Welt betraf dies auch fast alle anderen um Laurenti herum. Pina hatte zumindest so viel Einsicht aufgebracht, daß er inzwischen über alle Details unterrichtet war. Doch erst als Laurenti ihr mit wenigen Worten klargemacht hatte, daß ihr nichts anderes übrigblieb, als seine Anweisungen zu befolgen, lenkte sie widerstrebend ein. Sie saß in der Patsche, in dieser Phase konnte sie sich keinen Rückzieher mehr erlauben. Sie konnte sich weder an Kollegen noch an den Staatsanwalt wenden, ohne umgehend in eine Zelle des Untersuchungsgefängnisses gesperrt zu werden. Ein Skandal, der sich gewaschen hätte! Niedergeschlagen und mürrisch kam sie also Laurentis Befehlen nach. Die Zeit drängte, und nur drei andere Personen durfte sie hinzuziehen: Antonio Sgubin, ihren Vorgänger, der zwar ein netter Kerl war, doch in dessen Temperament sie kein Vertrauen hatte. Bei Galvano würde sie sich widerwillig für ihre Verdächtigungen entschuldigen müssen, obgleich er sich viel ungerechter verhielt. Aber konnte sie sich bei seiner Schwatzsucht auf ihn verlassen? Schließlich Marietta. Der Inspektorin blieb nichts anderes übrig, als Laurenti zu gehorchen. Noch auf der Fahrt ins Büro bestellte sie alle drei zu einer eiligen und streng geheimen Besprechung ein. Sgubin beendete seinen Schichtdienst in Gorizia früher und traf mit seinem Motorrad wenig später im Triestiner Polizeipräsidium ein. Seine ehemaligen Kollegen in den Fluren begrüßten ihn mit freudigem Schulterklopfen und überhäuften ihn mit Fragen. Immer wieder mußte er beteuern, daß er nur zu Besuch kam und um sich nach dem Stand der Ermittlungen im Mordfall Laurenti zu erkundigen.
    »Gut, daß du da bist.« Marietta schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn zur Begrüßung auf den Mund.
    »Weshalb bist du so fröhlich?« fragte Sgubin und wischte sich mit dem Ärmel ab. »Nach allem, was passiert ist.« Sie führte ihn in Laurentis Büro, in dem Pina schon auf Galvano einredete.
    *
    Ruckelnd nahm das Tram von Opicina die Fahrt wieder auf, nachdem am Obelisk die beiden Touristen mit ihren rotweiß karierten Hemden und den Cordhosen eingestiegen waren und sich direkt auf die Bank hinter dem Fahrer setzten. Die Alte mit dem Hund erhob sich und ging ebenfalls nach vorne. Immer wieder seufzte sie auf, wenn sie sich von Banklehne zu Banklehne abstützte. Sie setzte sich zwei Reihen hinter Drakič. Die Sonne stand bereits tief im Westen, ihr grellgelber Schein versprach schlechtes Wetter für den nächsten Tag.
    Die Trasse verlief jetzt mehrere Kilometer neben der Straße. Ein Mobiltelefon schmetterte die Töne von Wagners »Ritt der Walküren« in den Raum, als wäre das ganze eine Szene aus »Apocalypse Now«. Die beiden Touristen drehten sich entnervt um, doch der braungebrannte Mann schenkte ihnen keinen Blick, klemmte schließlich den Koffer zwischen die Knie und antwortete einsilbig.
    »Schauen Sie nach links«, sagte ihm die Frauenstimme mit dem südlichen Tonfall. »Der weiße Volvo. Hinten sitzt Ihre Schwester. Haben Sie das Geld?«
    Viktor Drakič sah sie sofort. Er hob den Koffer in Fensterhöhe. »Ja.«
    Die Frau mit dem

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