Totentöchter - Die dritte Generation
Rascheln, wenn ihr Körper sich unter der Satindecke bewegt. Neben ihrem ist ein leeres Zimmer mit überhaupt keinem Geräusch. Und diese Stille ist es, die mir das Schlafen unmöglich macht. Ich wälze mich eine Weile hin und her, dann gehe ich über den Flur zu Jennas Zimmer.
Ihre Tür knarrt beim Öffnen. Im Morgenlicht kann ich erkennen, dass ihr Bett gemacht worden ist. Einer ihrer Liebesromane liegt noch auf dem Nachtisch. Das ist das Einzige, was von ihr noch geblieben ist. Von hier aus kann ich das Bonbonpapier sehen, das die letzte Seite markiert, die sie je gelesen hat.
Sogar ihr Geruch ist weg. Diese leichte, luftige Mischung aus Parfüms und Lotionen, die Diener zum Rotwerden gebracht hat. In ihren letzten Tagen war er übertönt worden von der starken Salbe, die Adair ihr auf die Brust gerieben hat, um ihr das Atmen zu erleichtern. Aber dieser medizinische Geruch ist ebenfalls verschwunden. Der Staubsauger ist über ihre Schritte gefegt und
hat die Spuren der Bahre ausgelöscht, auf der ihr Körper davongerollt wurde.
Ich warte. Dass ihr Geist mich heimsucht, dass ich ihre Stimme höre. Als Rose starb, konnte ich ihre Gegenwart noch Monate später im Orangenhain spüren. Auch wenn es nur meine Einbildung gewesen ist, so war es immerhin etwas. Doch wenn Jennas Geist noch auf Erden existiert, dann ist er nicht hier. Nicht einmal in ihrem Spiegel ist noch ein Schatten von ihr.
Ich ziehe die Decke zurück, klettere in ihr Bett. Die Laken riechen ganz neu. Vielleicht sind sie es, ich kenne sie nämlich nicht – weiß mit kleinen lila Blumen. Das ist auch nicht ihre Überdecke, denn die hatte einen Kirschsaftfleck an der Ecke. Sie ist verschwunden. Außer dem Taschenbuch nicht eine Spur von ihr. Ich werde nie erfahren, was mit ihr an diesem Nachmittag geschehen ist, als sie in Vaughns Keller verschwand. Sie wird niemals mit mir weglaufen und das Meer sehen. Sie wird nie wieder tanzen und atmen.
Ich vergrabe mein Gesicht in der Matratze, genau dort, wo sie gestorben ist, und ich stelle mir vor, dass ihre Finger mir durchs Haar streichen. Es kostet mich einige Mühe, bis ich eine klare Erinnerung an ihre Stimme heraufbeschwören kann.
Du wirst hier rauskommen und es wird fantastisch werden.
»In Ordnung«, sage ich zu ihr.
Nach einer Weile falle ich in einen gnädigerweise traumlosen Schlaf.
Es ist meine letzte traumlose Nacht. Danach habe ich immer Gabriel im Kopf, irgendwo allein, an diesem
schrecklichen Ort unter meinen Füßen. Ich denke an seine Haut, die von dem flackernden Licht grau geworden ist, an seinen Atem, der in Wolken aus seinem Mund kommt. Nachts mache ich meine Augen zu und träume von ihm, wie er zum Schlafen auf einer Pritsche liegt – und in einem Gefrierschrank neben ihm meine toten Schwesterfrauen.
Ich mache mir Sorgen, dass Vaughn hinter unseren Plan kommen und ihm etwas antun könnte. Ihn töten. Vaughn hat gesagt, er habe am Tag von Lindens Geburt angefangen, an dem Gegenmittel zu arbeiten, und auch wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass er Gutes tun will, das glaube ich sehr wohl. Ich glaube auch, dass Linden der Einzige ist, an dessen Rettung ihm wirklich etwas liegt. Und Bowen ist Vaughns Rückversicherung, falls es ihm nicht gelingen sollte, seinen Sohn rechtzeitig zu retten.
Eines Nachts habe ich einen schrecklichen Traum. Bowen, groß und gertenschlank wie sein Vater, drückt die Lippen auf den Mund einer widerwilligen Braut, die das Zimmer bewohnt, das einst das Schlafzimmer seiner Mutter war. Er sagt ihr, er liebe sie, und sie hält ein Messer hinter dem Rücken versteckt. Rachsüchtig und schön wartet sie auf den richtigen Moment, um ihm ein Ende zu bereiten. Es ist niemand da, der ihn warnen könnte. Keine Mutter, die ihn liebt. Er hat nie jemand anderen kennengelernt als Vaughn, der im Keller Lindens Körper auseinandernimmt, besessen davon, ein Heilmittel zu finden. Und ich? Ich bin schon lange tot und zusammen mit meinen Schwesterfrauen eingefroren und perfekt konserviert, die Augen geöffnet und verblüfft vor sich
hin starrend; die Hände berühren sich nicht ganz. In einer Viererreihe, mit Eiszapfen an den Wimpern.
Etwas berührt mich und ich schreie los, ich kann nichts dagegen tun. Mein Herz hämmert mir in der Brust und auf der Stelle will ich weg von den Leichen meiner Schwesterfrauen und unbedingt raus aus Vaughns Keller.
»Hey«, flüstert jemand mit leiser Stimme. »Sch – hey, hey, ist ja gut. Du hast schlecht geträumt.« Ich drehe mich
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