Totentöchter - Die dritte Generation
vorbehalten hat.
Es macht mir Angst, wie leicht ich vorgeben kann, verliebt in dieses Leben zu sein … und in den Ehemann, der daran hängt.
Linden taucht in einem schlichten schwarzen Smoking auf – die Standardkleidung für alle Hauswalter, wie ich festgestellt habe –, aber seine Kragenaufschläge sind von
demselben Wasserblau wie mein Kleid. Die Metalltüren des Fahrstuhls gewähren mir einen Blick auf unser Spiegelbild, Arm in Arm, ein perfektes Paar. Die Türen gehen auf. Wir steigen ein.
»Viel Spaß!«, sagt Cecily.
Als die Tür sich geschlossen hat, fragt Linden: »Ist sie in letzter Zeit ein wenig seltsam gewesen?«
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, weil ich in der Tat eine Veränderung an Cecily bemerkt habe. Schon vor Jennas Tod wirkte sie seltsam verloren. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass Vaughn ihr Bowen ständig wegnimmt. Und wer weiß, was er mit ihm macht. Es ist allseits bekannt, dass Neugeborene in wohlhabenden Haushalten, die das Wundermittel suchen, als Versuchspersonen herhalten müssen, aber Vaughn ist so verschwiegen und Bowen scheint unversehrt zu sein. Ferner weiß ich nicht, wie ich Linden auf nette Art sagen soll, dass ich es für rücksichtslos und falsch halte, dass er ein so junges Mädchen überhaupt geschwängert hat. Und vielleicht fürchte ich, dass er wieder darauf drängen wird, dass ich Kinder kriege. Mit sechzehn bin ich praktisch eine alte Jungfer.
»Sie ist nur erschöpft«, antworte ich. »Vielleicht solltest du ihr mehr mit dem Baby helfen.«
»Das würde ich liebend gern«, sagt Linden. »Aber mit Cecily und meinem Vater auf dem Plan hab ich Glück, dass ich mich noch daran erinnere, wie mein eigener Sohn aussieht.«
»Linden«, sage ich vorsichtig. »Was glaubst du, was dein Vater die ganze Zeit mit dem Baby macht?«
»Seinen Pulsschlag aufzeichnen, ihm Blut abnehmen,
um sicherzugehen, dass er gesund ist, nehme ich an.« Er zuckt die Achseln.
»Und das findest du normal?«, sage ich.
»Was ist schon normal?«, sagt er. »Der ersten Generation war noch nicht mal bewusst, dass ihre Kinder sterben würden – bis es zwanzig Jahre später losging. Wer weiß schon, was mit unseren Kindern geschehen wird?«
Da ist was dran. Ich starre auf meine glitzernden Pumps. Hier stehe ich in einem hübschen Kleid, während die Welt auseinanderbricht. Ich höre Jennas Stimme sagen: Vergiss nicht, wie du hierhergekommen bist. Vergiss das nicht .
Linden nimmt meine Hand. In solchen Situationen hat er, glaube ich, genauso viel Angst wie ich. Ich schenke ihm ein kleines Lächeln und er stößt mich freundschaftlich mit seiner Schulter an. Mein Lächeln wächst.
»Schon besser«, sagt er.
In der Limousine schenkt er uns Champagner ein, aber ich trinke mein Glas nicht aus und hindere auch ihn daran. »Auf der Party wird es noch viel mehr davon geben«, sage ich.
»Du sprichst wie eine wahre Erste Ehefrau.« Er lacht und küsst meine Schläfe.
Gegen meinen Willen werde ich rot. Zum ersten Mal hat er diese Worte laut ausgesprochen. Erste Ehefrau. Es ist ja nur noch für ein paar Tage, aber um seinetwillen kann ich so tun, als wäre es nicht so.
»Meinst du, dass Kameras da sind?«, frage ich.
»Haufenweise«, sagt er und er sieht ein bisschen besorgt aus. »Vielleicht hätte ich dich bitten sollen, diese
grünen Kontaktlinsen zu tragen. Ich will nicht, dass die ganze Welt erfährt, wie außergewöhnlich du bist.«
Ich richte seine Krawatte. »Bin ich wegen meiner Augen etwas Besonderes für dich?«
»Nein«, sagt er. Seine Stimme ist ganz sanft und verträumt. Er streicht mir die Locken aus dem Gesicht. »Die sind nicht mehr als ein Kräuseln auf der Oberfläche.«
Ich lächele. Für einen Moment denke ich, dass mein Vater so für meine Mutter empfunden haben muss, und ich könnte beinahe schwören, dass diese Ehe echt ist. Wenn uns ein Fremder begegnete, würde er denken, wir wären schon seit Jahren zusammen und hätten vor, den Rest unseres Lebens gemeinsam zu verbringen. Ich habe immer gewusst, dass ich eine hervorragende Lügnerin bin. Ich hatte nur nicht geahnt, dass ich es draufhabe, mich selbst zu täuschen.
Arm in Arm kommen wir auf die Party. Bei der dröhnenden Musik fällt es uns nicht schwer, unbemerkt zu bleiben. Die Party findet in einer exklusiven Bar statt, in der es verschiedene Ebenen und eine Wendeltreppe gibt. Die oberen zwei Ebenen sind aus einer Art Glas gemacht, durch das man die Leute unten sehen kann, nicht jedoch die Leute
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