Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Schamhaaren, ein halb erigierter Penis bewegte. Ich schloss die Augen für einen Moment und riss das unwillkommene Bild in tausend Stücke.
»Ja, danke, ein Stück Schokoladenkuchen wäre schön«, sagte ich und vergrub mich in der länglichen, roten Speisekarte. Jetzt begann er zu summen.
In diesem Augenblick, noch bevor ich mich richtig umgesehen hatte oder überhaupt wusste, ob Schokoladenkuchen auf der Speisekarte stand, fasste ich den Entschluss, mich nicht nur um diese Stelle zu bewerben, sondern sie auch zu bekommen.
ODENSE, 12.–13. JULI 2009
3
Ich war den ganzen Sonntag allein zu Hause. Dass Nkem auf dem Weg zur Kirche mit einem Sack Reis und ein paar Kochbananen vorbeikam, ehe sie mit den gleichen Sachen wieder ging, zählte ebenso wenig wie die Tatsache, dass kurz darauf Großvater anrief. Ich war nicht in der Stimmung, mit ihm zu reden und brummte mich durch das Gespräch. Im Prinzip war ich allein, seit ich um 7.30 Uhr am Morgen aufgewacht war. An sich kein Problem. Ich war eigentlich immer allein zu Hause.
Als ich am Abend von meinem Buch aufblickte und zum Fenster sah, wurde mir wieder einmal klar, dass ich ein Problem mit hellen Nächten hatte, diese Nacht eingeschlossen: Sie erzeugten Schuldgefühle in mir. Ich sollte sie nutzen, sagte eine innere Stimme. Aber warum denn, fragte eine andere, draußen sind doch Mücken. Außerdem hatte ich keine Lust, durch die erleuchteten Fenster meiner Nachbarn zu glotzen, und was sollte ich sonst schon tun?
Das Leben vergeht, bald gibt es keine hellen Nächte mehr, meldete die Stimme sich wieder.
Merkwürdig. Als ich jung war, verpasste ich immer das Frühjahr, weil ich auf die Examen lernte. Später dann begann ich zu arbeiten und fand ebenfalls keine Gelegenheit, die Frühjahrszeit zu genießen. Ich bewunderte sie bloß von drinnen durch irgendwelche Scheiben; morgens früh, wenn es noch kalt war, oder dann wieder am Spätnachmittag, wenn lange Schatten die Wärme schluckten.
Ein leiser, willkommener Sommerregen zeichnete weiche Muster auf die schiefergrauen Fensterscheiben. Ich schätzte, dass es gegen zehn Uhr abends war, vielleicht etwas später. Abwesend betrachtete ich einen besonders weichen Tropfen, der sich langsam und vollerElastizität in die Länge zog, als würden die Zellen sich verändern. Unweigerlich musste ich an die Petersilie denken, die ich Ende Mai in meinen Balkonkasten gepflanzt hatte. Der drei Tage andauernde Regen im Juni hatte sie auf die nasse Erde geklatscht, doch danach hatte sie sich wieder aufgerichtet und war jetzt sogar etwas gelb an den Rändern. Aber was wusste ich schon über Petersilie?
Draußen startete widerwillig der Motor eines Autos. Über mir schlug eine Tür. Schritte auf der Treppe. Zwei Menschen.
Jane Eyre
lag auf meinem Schoß und verbarg die Kordel der grauen Jogginghose. Meine Gedanken kamen und gingen, träge und angenehm, wie sie es immer dann waren, wenn ich ein paar Glas Wein getrunken hatte. Ich sollte nicht trinken, wenn ich Bereitschaft hatte, tat es aber trotzdem. Nicht viel, nur ein bisschen, genug aber, um es erträglich zu machen. Davon wusste der große Mann mit dem seltenen Lächeln aber glücklicherweise nichts.
Ein rechtschaffener Mann, manchmal aber etwas kantig
, hatte einer meiner Kollegen vor etwas mehr als einem Jahr gesagt, als ich mich endgültig entschieden hatte, nach Fünen zu ziehen.
Kantig? Eine Untertreibung.
Nkem hatte den Kopf geschüttelt. Nicht kantig,
oyinbo
, sagte sie. Oyinbo – weiß, einer, der anders ist; ein kleines Wort mit großer Bedeutung.
Nur widerwillig verkorkte ich irgendwann die halbvolle Flasche australischen Syrah und ging ins Bett; widerwillig, weil ich wusste, dass ich doch nicht schlafen konnte. Außer …
Ich faltete die grüne Decke zusammen, die ich mir auf die Beine gelegt hatte, als ich auf dem Sofa Brontë gelesen hatte, legte sie über die Armlehne, nahm die Katze auf die Schulter, ging ins Schlafzimmer und setzte sie aufs Bett. Sie veränderte ihre Position und schlief weiter.
Ich warf kurz einen Blick in den Spiegel, als ich mir die Zähne putzte, und glaubte in diesem Moment wirklich, eine andere werdenzu können: eine mit etwas längeren Haaren vielleicht, oder eine, die häufiger lächelte. Aber warum sollte ich das?
Ich nahm eine Schlaftablette, meine Freundin Imovane; das Telefon würde ja doch schweigen; und die Schlaftablette wirkte ohnehin nicht lange. Eine Nacht wie die letzte konnte ich nicht noch einmal
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