Totgeglaubt
so etwas wie ein neues Leben beginnt. Sie will einfach keine weiteren Scherereien mit ihm.”
“Das will niemand! Aber was da passiert, ist doch eine Farce! Alle Leute, die darauf aus sind, Clay dranzukriegen, gewinnen langsam die Oberhand. Und ich werde bestimmt nicht zusehen, wie die Vincellis und Konsorten sich das Gesetz nach eigenem Gutdünken für ihre privaten Zwecke zurechtbiegen.”
“Merkst du denn nicht, was Clay vorhat?”, fragte Evelyn. “Glaubst du etwa, dass er dir seine Aufmerksamkeit schenkt, weil er dich
mag?”
Allie fiel fast die Kinnlade herunter, aber sie war zu verletzt, um eine passende Antwort zu geben.
“Clay mag niemanden”, fuhr ihre Mutter fort. “Er benutzt dich bloß. Er weiß, dass er Verbündete braucht – also versucht er, sich deine Unterstützung zu sichern. Er hofft, dass du ihm den Hals retten kannst. Und es ist ihm vollkommen gleichgültig, ob er dein Leben dabei zerstört.”
“Das stimmt nicht”, widersprach Allie. “Um nichts in der Welt würde sich Clay bei jemandem einschmeicheln. Und von mir will er auch nichts wissen. Er hat mir gesagt …” Doch was brachte es, wenn sie das ihrer Mutter erklärte? Die Einwohner von Stillwater wollten jemanden büßen sehen und glaubten, in Clay den perfekten Sündenbock gefunden zu haben. “Schon gut.”
“Denk an die unzähligen Frauen, mit denen er schon geschlafen hat!”, erinnerte Evelyn sie. “Du bist für ihn nur eine weitere Eroberung – noch dazu eine wohl kalkulierte Eroberung! Denn du hast dich ihm nicht nur in der Hütte hingegeben, sondern hilfst ihm auch jetzt noch.”
Allie legte auf. Sie wusste, dass das ein Fehler war. Ihre Mutter war ihre letzte Verbündete. Aber Allie war so verärgert, dass sie nicht anders konnte.
“Mommy?”, rief Whitney.
Allie versuchte, sich ihren inneren Aufruhr nicht anmerken zu lassen. “Was ist, Schätzchen?”
“Hat Boppo dich gefragt?”
“Was gefragt?”
“Ob ich heute Abend bei ihr bleiben kann?”
Allie wusste nicht, was sie antworten sollte. So weit war sie mit ihrer Mutter gar nicht gekommen.
“Hat sie?”, drängte Whitney.
Wieder klingelte ihr Handy. Anstatt ihrer Tochter zu antworten, ging sie ans Telefon.
“Entscheidest du dich tatsächlich für Clay und gegen deine eigene Familie?”, fragte ihre Mutter.
Allie fluchte leise. “Natürlich nicht.”
“Genau das tust du aber, wenn du dich entschließt, den Montgomerys zu helfen. Dein Vater wird es als persönlichen Affront verstehen! Ist dir überhaupt klar, dass du mich damit zwingst, mich auf seine Seite zu schlagen – obwohl ich die ganze Zeit versucht habe, neutral zu bleiben? Ich kann meinem Mann nicht in den Rücken fallen.”
“Das hat doch nichts damit zu tun, irgendwem in den Rücken zu fallen! Ich brauche den Job nun mal.”
“Wenn du nicht so stur wärst, könntest du wieder bei deinem Vater arbeiten.”
In der Tat würde ihr ihr alter Job weit mehr Sicherheit geben. Sie hätte ein geregeltes Einkommen und wäre sozialversichert. Grace konnte ihr beides nicht bieten. Und natürlich musste Allie auch an Whitney denken. Eigentlich sprachen die Verantwortung für ihre Tochter und der soziale Druck eindeutig dafür, auf ihre Eltern zu hören und einzuknicken. Nur: Bei der Polizei hatte offenbar niemand ein wirkliches Interesse daran, den Fall zu lösen. Es ging lediglich darum, einen Sündenbock zu finden und für Barkers Verschwinden zu bestrafen, damit die Vincellis endlich Ruhe gaben und das Leben in Stillwater wieder seinen geregelten Gang gehen konnte. Anders als seine Mutter und seine Schwestern war Clay zornig, provokant und herausfordernd. Sein tief sitzender Groll hatte tatsächlich etwas Einschüchterndes, was es einigen Leuten sehr leicht machte, ihm ein Verbrechen zuzutrauen. Doch Allie wollte sich von so etwas nicht beeinflussen lassen. Ihr ging es um die Wahrheit.
Oder ging es ihr doch um mehr? Lag ihr Clay vielleicht einfach am Herzen?
“Das kann ich nicht”, antwortete sie.
“Nicht einmal um Whitneys willen?”, fragte Evelyn.
Allie presste sich ihr Kopfkissen an die Brust. “Ich sorge schon dafür, dass es ihr an nichts fehlt.”
“Aber sie liebt uns. Die Kluft zwischen dir und uns wird ihr wehtun.”
“Mom, wir wissen nicht einmal, was mit Barker passiert ist. Clay verdient eine faire Verhandlung, findest du nicht?”
Die Stimme ihrer Mutter wurde lauter: “Soll ihn doch seine Schwester verteidigen. Die hat noch nie einen Fall
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