Totgeglaubt
verloren.”
“Für sie stand noch nie so viel auf dem Spiel, und sie war noch nie mit so vielen Widrigkeiten konfrontiert.”
“Lass sie alleine damit fertig werden. Sie wird es auch ohne dich schaffen.”
“Ich tue das, was ich für richtig halte”, insistierte Allie.
Wieder folgte ein langes Schweigen, dann sagte ihre Mutter: “Bist du sicher, dass es dein Gewissen ist, dem du folgst?” Und diesmal legte sie auf.
“Mommy?”, jammerte Whitney ungeduldig. “Warum antwortest du mir nicht?”
Allie hätte das Telefon am liebsten quer durch den Raum geschleudert, aber sie beherrschte sich und legte es stattdessen einigermaßen sachte auf den Nachttisch. “Tut mir leid, meine Süße”, rief sie ins Wohnzimmer. “Du kannst heute Abend nicht zu Boppo. Sie hat vergessen, dass sie schon etwas anderes vorhat.”
“Aber sie hat mich doch gerade gefragt! Wir wollten doch Kekse backen!”
“Weißt du was? Ich frage mal, ob deine Freundin Emily heute bei uns übernachten darf.”
“Und was ist mit Boppo?”, beharrte Whitney.
“Vielleicht kannst du nächste Woche zu ihr”, tröstete Allie sie. “Aber auch das ist noch nicht sicher”, murmelte sie mehr zu sich selbst. Dann dachte sie wieder daran, was ihre Mutter über ihre Waffe gesagt hatte. Cindy meinte, sie bei Joe zu Hause gesehen zu haben? Wenn man bedachte, dass Joe das stärkste Motiv hatte, um auf Clay zu schießen,
und
dass er kein Alibi hatte, dann dürfte es der Polizei eigentlich nicht schwerfallen, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen. Aber so, wie die Dinge standen, würde sie ihren Vater niemals davon überzeugen können, das war Allie klar. Gerade jetzt würde er niemals gegen die Vincellis vorgehen. Niemand würde das tun.
Und das bedeutete, dass sie selbst aktiv werden musste, und zwar schnell – bevor Joe das Beweismittel verschwinden ließ.
“Whitney?”, rief sie.
“Was ist, Mommy?”
“Was hältst du davon, heute Nacht bei Emily zu schlafen, mein Engel?”
Dale McCormick stand im Schuppen, wo er sein Werkzeug aufbewahrte, und schaute auf die Uhr. Er hatte gerade die Rasenkanten gestutzt. Das gehörte zu seiner samstäglichen Routine, einer Routine, die ihn normalerweise entspannte. Doch heute war er nervös.
Irene müsste die Blumen längst bekommen haben. Normalerweise reagierte sie umgehend, wenn er ihr etwas schenkte. Er musste sie einfach sehen! Sie zu treffen, und wenn es ein allerletztes Mal wäre, würde ihm die nötige Kraft geben, um mit den Widrigkeiten fertig zu werden, die von allen Seiten über ihn hereinbrachen: sein Zerwürfnis mit Allie, die Einmischung der Bürgermeisterin und der Vincellis in seine Arbeit, der abgefeuerte Schuss bei seiner Hütte.
Er wischte sich die Hände an einem Papierhandtuch ab, warf es in die Mülltonne neben der Tür, holte sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Mailbox an, die er extra für Irene eingerichtet hatte.
Er hatte tatsächlich eine Nachricht.
Mit einem zittrigen Gefühl der Hoffnung drückte er auf die Taste, um sie abzuhören.
Aber die Stimme seiner Frau, die von hinten an sein Ohr drang, störte ihn. “Dale, was brauchst du heute so lange da draußen?”
Er drehte sich um und sah, dass Evelyn in der Haustür stand. Er wollte das Handy schon zuklappen und in die Tasche stecken, als Irenes Stimme an seinem Ohr von den “wundervollen Rosen” zu schwärmen begann.
Und da Evelyn kein neugieriger Mensch war und ihm restlos vertraute, bedeutete er ihr einfach, leise zu sein. “Ich will kurz sehen, ob ich auf dem Revier gebraucht werde”, log er, aber er fühlte sich dabei schuldbewusster als sonst.
Doch Evelyn schien ihm gar nicht zuzuhören; dabei war sie normalerweise so rücksichtsvoll. Jetzt aber rang sie die Hände und sagte mit düsterer Miene: “Ich muss zu Reverend Portenski. Ich bin bald wieder da.”
Irgendetwas bedrückte sie offenbar. Er hätte sie gerne gefragt, was los war, aber Irene gestand ihm gerade, wie sehr sie ihn liebte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte und auf welche Weise sie bei ihrem nächsten Rendezvous die Dessous abstreifen würde, die er ihr geschenkt hatte.
Anstatt Evelyn aufzuhalten, stieß Dale einen Seufzer der Erleichterung aus, als er sie die Auffahrt hinunterfahren sah, und wählte Irenes Nummer.
“Hallo?”
“Ich bin’s”, sagte er.
“Wie kommt es, dass du mich um diese Zeit anrufst? Du bist doch samstagvormittags immer zu Hause.”
“Evelyn ist unterwegs.”
“Danke für die Blumen”, sagte
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