Totgeglaubt
Annehmlichkeit freuen, dass ihn niemand außer dem Wärter, der das Essen brachte, in seinen Grübeleien störte.
Er schnipste einen Staubfussel auf den Boden. Gegenwärtig war es ihm gar nicht so lieb, vierundzwanzig Stunden am Tag nur für sich zu haben, denn er konnte einfach nicht aufhören, an Allie zu denken. Und an ihre kleine Tochter. Ihnen beiden würde es besser gehen, wenn Allie sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, ihm zu helfen. Dass sie bereit war, sich gegen diejenigen zu stellen, die sie kannte und liebte, nur um ihm zu helfen, weckte seine Sehnsucht nach Dingen, die ihm für immer verwehrt bleiben würden. Und es machte ihn fast wahnsinnig, an die Demütigungen und Nachteile zu denken, die Allie erwarten würden, wenn sie weiterhin zu ihm stand.
Vorsichtig ließ er seinen verletzten Arm kreisen und drückte gegen die Wunde, um den lästigen Juckreiz zu stoppen, der ihn seit dem Morgen quälte. Die Wunde verheilte gut. Clay seufzte. Es hätte durchaus auch ganz anders verlaufen können. Schließlich gab es ein großes Lager an Menschen, die ihn hassten. Natürlich gab es auch die, die auf seiner Seite standen: Seine Schwestern und seine Mutter hielten zwangsläufig zu ihm, sie waren seine Familie. Aber Allie musste das nicht tun. Wenn man ihn verurteilte, konnte er sich nicht mehr um sie kümmern. Sicher war ihr das bewusst. Aber sie hatte wahrscheinlich keine Ahnung, wie wichtig es ihm war, sie gut versorgt und in Sicherheit zu wissen. Er wollte sie nicht mit in seine eigene Katastrophe hineinziehen.
Das war das Schlimmste an seinem Gefängnisaufenthalt, das wurde ihm jetzt klar. Es waren nicht die fehlenden Annehmlichkeiten. Es war dieses verdammte Gefühl der Ohnmacht. Er konnte nichts für das Glück derjenigen tun, die er liebte. Und nachdem er neunzehn Jahre lang nichts anderes getan hatte, als über das Wohlergehen seiner Familie zu wachen, war dies zu seinem einzigen Lebenssinn geworden.
“Grace hätte besser auf mich hören sollen”, murmelte er, rollte sich aus dem Bett und ging in der Zelle auf und ab. Er hatte seine Schwester gebeten, Allie auszurichten, dass sie sich einen richtigen Job besorgen solle, weil er nichts mit ihr zu tun haben wolle. Er wusste, dass das eine harsche Abfuhr war, aber er musste so harsch sein, sonst würde Allie nicht auf ihn hören. Und der Schmerz, den ihr seine Worte zufügen würden, würde immer noch viel kleiner sein als das Elend eines verpfuschten Lebens, das er ihr ansonsten zumutete. Nein, ganz klar: Allie musste sich schleunigst mit ihrer Familie und ihren Freunden vertragen, ihren Dienst wieder aufnehmen und einen passenden Vater für Whitney finden. Einen Mann, der ihr all das geben würde, was er selbst nicht konnte.
Einen Moment lang träumte sich Clay an die Stelle dieses Mannes. Er sah sich von der Farmarbeit nach Hause kommen, sah sich mit Allie einschlafen. Er sah, wie sie beide Allies kleine Tochter großzogen. Er sah Allie, schwanger mit seinem Kind.
Sein Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln, als er an Graces rotgesichtiges kleines Baby dachte, und daran, wie Lauren ihm, während er über ihre Wange streichelte, den winzigen Mund zugewandt hatte. Als er seine kleine Nichte in den Armen hielt, hatte er stärker als je zuvor gespürt, worauf es im Leben ankam. Die meisten Männer empfanden es als selbstverständlich, eine Familie zu gründen. Sie hatten keine Ahnung, wie verzweifelt man es sich wünschen konnte, wenn es einem verwehrt war.
Doch unabhängig von seiner eigenen Zukunft wollte Clay, dass Allie ein gutes Leben hatte. Leider hatte er das ungute Gefühl, dass Grace Allie seine Nachricht nicht ausrichten würde. Seine Schwester war jetzt stärker als je zuvor – und sie vertraute auf ihre eigenen Entscheidungen. Aus irgendeinem Grund glaubte sie, dass Allies Unterstützung ihnen wesentliche Vorteile brachte.
Ob es ihm passte oder nicht: Grace würde in seine Verteidigung alles investieren, was sie hatte – inklusive Allie.
18. KAPITEL
N ormalerweise verbrachte Joe seine Samstagabende damit, dass er sich mit Freunden betrank. Laut seiner Exfrau trank er viel zu viel. Doch Allie kam die zuverlässige Routine, mit der Joe zur Billardhalle fuhr, sehr zupass, besonders heute Abend. Sie spähte durch die Bäume auf das Haus, das Joes Eltern ihrem Sohn zur Verfügung gestellt hatten. Es war völlig dunkel.
Sie hatte ihr Auto in einer Seitenstraße versteckt und schlich jetzt näher an das Haus heran. Der Gedanke, bei
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