Totgeglaubt
einem weiteren Besuch beehren würde. Er kam nur sehr sporadisch. Aber nach dem Abschlussgebet verließ Clay nicht sofort, wie sonst, das Gotteshaus, sondern blieb abwartend an seinem Platz stehen.
Mit verschränkten Armen an der Wand lehnend, ließ Clay die anderen Kirchenbesucher an sich vorbeiziehen. Die meisten Leute vermieden es, auch nur einen Blick in seine Richtung zu werfen. Joes Vater murmelte vor sich hin, dass er kein Recht habe, zusammen mit anständigen Leuten die Messe zu besuchen. Aber Clay beachtete ihn gar nicht. Er hatte gesehen, wie Allie McCormicks Mutter ihre Enkelin kurz vor Ende des Gottesdienstes nach draußen begleitet und wie Whitney ihrer Mutter zugewinkt hatte. Allie war also irgendwo da draußen. Und wenn er schon hier wartete – nach dem, was Grace ihm erzählt hatte, hoffte er auf ein kurzes Gespräch mit dem Reverend –, dann wollte er doch wenigstens einen Blick auf Allie werfen.
Doch im gleichen Moment bahnte sich Beth Ann mühsam einen Weg durch die nach draußen strömende Menschenmenge und kam auf ihn zu.
“Clay, wie schön dich zu sehen”, begrüßte sie ihn.
“Schön, dich zu sehen”, antwortete er mechanisch und halbherzig, bereute die Floskel aber umgehend, weil sie seine Worte sofort überinterpretierte.
“Wirklich? Meinst du das ernst?”
Die Sehnsucht, die in ihrer Stimme lag, bereitete ihm Unbehagen. Er hätte ihr gerne etwas Tröstliches gesagt, doch Freundlichkeiten weckten bei ihr nur falsche Hoffnung.
“Hör zu, Beth Ann, es tut mir leid …”, setzte er an, aber eine zweite weibliche Stimme unterbrach ihn, bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte.
“Natürlich meint er es ernst. Clay freut sich immer, seine Freunde um sich zu haben. Ich bin froh, dass Sie es heute bis in die Kirche geschafft haben, Mr. Montgomery.”
Überrascht, Allies Stimme zu hören, drehte er sich um und sah, wie sie sich von der anderen Seite näherte. Als sich ihre Augen trafen, gab sie ihm mit einem breiten Grinsen zu verstehen, dass sie ihn ganz bewusst aus der peinlichen Situation gerettet hatte.
“Officer McCormick”, begrüßte er sie mit einem Nicken. Clay wusste, dass er es bei einem höflichen Lächeln belassen sollte, aber er konnte nicht anders: Seine Augen musterten sie von oben bis unten. Sie war so schön, so … gesund in ihrer weißen Bluse und dem Rock.
“Was ist los?”, fragte Beth Ann und ließ ihren Blick zwischen ihnen beiden hin- und herschweifen.
In der Hoffnung, ihr die Eifersucht zu nehmen, warf Clay Beth Ann einen möglichst neutralen, unverfänglichen Blick zu. Aber es war bereits zu spät.
“Sie hoffen doch nicht etwa, in sein Bett gelassen zu werden?”, fragte sie Allie mit unverhohlenem Misstrauen.
“Du bist in der Kirche!”, erinnerte Clay sie, aber das schien Beth Ann nicht zu kümmern.
Doch leider widersprach die Polizistin keineswegs so heftig, wie sie erwartet hatte. “Was ich mir tatsächlich erhoffe, sind ein paar Billard-Nachhilfestunden”, antwortete Allie vage.
“Billard?”, echote Beth Ann. Sie runzelte ihre makellos glatte Stirn.
Allie nickte. “Ja. Billard. Clay ist richtig gut.”
“Das ist nicht das Einzige, in dem er gut ist”, meinte Beth Ann. “Wenn Sie nicht aufpassen, tut er auch Ihnen weh.”
Allies Mund verzog sich zu einem unmerklichen Lächeln. “Und wenn er es mir nicht beibringen will, dann suche ich mir einen anderen Lehrer.”
“Dann haben Sie noch nicht mitbekommen, dass es keinen anderen gibt. Jedenfalls keinen Vergleichbaren”, erwiderte Beth Ann beleidigt und zog ab.
Clay war verlegen. Er wusste nicht, wie er auf diesen Abgang reagieren sollte. Er rieb sich mit der Hand übers Kinn und überließ es Allie, das peinliche Schweigen zu brechen.
“Das war eine Menge Werbung für Sie”, sagte sie.
Er versuchte, es mit einem Schulterzucken abzutun. “Sie ist nicht hier aufgewachsen, das wissen Sie doch.”
“Was soll das heißen?”
“Ich nehme an, ich habe sie getäuscht und geblendet.”
“Heute vielleicht. Aber sie scheint ziemlich wankelmütig zu sein, wenn ich daran denke, was sie neulich auf Ihrer Farm veranstaltet hat …”
“Sie ist nicht so schlimm, wie der Vorfall vermuten lässt.”
Allies Lächeln wich einer nachdenklichen Miene. “Sie sind ja ziemlich nachsichtig.”
“Es entspricht den Tatsachen”, erwiderte er schlicht.
“Wahrscheinlich erzählt sie jedem, dass sie bereit zum Heiraten und Nestbauen ist.”
“So etwas in der Art habe ich gehört,
Weitere Kostenlose Bücher