Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
aber ein ziemlicher Schuss ins Blaue.«
»Aber es könnte möglich sein.«
»Schon«, gab ich zu.
»Wer macht diese Tests?«
Ich gab ihm die Adressen.
»Besuch deinen Zahnarzt und hör dir an, was er über diesen komischen Zahn zu sagen hat. Dann nimm die Proben. Und schneide auch genug Knochensegmente für eine Radiokarbon-Analyse heraus.«
»Der Coroner wird diese Rechnung aber nicht bezahlen«, sagte ich.
»Ich zapfe meine Fördergelder an.«
Ich zog eben den Reißverschluss meines Parkas zu, als Ryan durch die Tür kam.
Was er mir sagte, warf meine Gedanken völlig aus der Bahn.
14
»Miriam Ferris ist mit Hershel Kaplan verwandt?«
»Schwägerschaftliche Verbindung.«
»Schwägerschaftlich.« Ich musste mir erst einmal klar machen, was Ryan meinte.
»Ist auch eine Verwandtschaftsbezeichnung. Bedeutet durch Heirat verwandt.« Ryan zeigte sein jungenhaftestes Grinsen. »Ich verwende den Begriff als Tribut an deine anthropologische Vergangenheit.«
Ich zeichnete in Gedanken ein Diagramm von dem, was er eben gesagt hatte. »Miriam Ferris war verheiratet mit dem Bruder von Hershel Kaplans Frau?«
»Ex-Frau.«
»Aber Miriam hat doch geleugnet, Kaplan zu kennen«, sagte ich.
»Wir haben Sie nach Kessler gefragt.«
»Einer von Kesslers bekannten Decknamen.«
»Verwirrend, nicht?«
»Wenn Kaplan zur Familie gehört, müsste Miriam ihn doch kennen.«
»Vermutlich«, sagte Ryan.
»Sie hätte ihn bei der Autopsie erkennen müssen.«
»Falls sie ihn gesehen hat.«
»Glaubst du wirklich, dass Kaplan Kessler ist?«, fragte ich.
»Nach dem Verbrecherfoto warst du doch ziemlich überzeugt.« Ryan schaute den Karton auf meinem Tisch an.
»Lebt der Bruder von Kaplans Frau noch?«
»Ex-Frau. Vor der Scheidung war Miriams Mann Kaplans Schwager. Aber wie auch immer, der Kerl starb fünfundneunzig an diabetischen Komplikationen.«
»Das heißt, Kaplan und seine Frau trennten sich, und er war von da an allein stehend. Und Miriams Mann starb, und sie blieb als Alleinstehende zurück.«
»Ja. Durch den Mord an Ferris wurde Miriam quasi wieder zum Familienmitglied. Ob das so ein großer Karrieresprung ist? Was ist in dem Karton?«
»Ich bringe Morissonneaus Schädel zu Bergeron für ein Gutachten über die Zähne.«
»Seinen Patienten dürfte das gefallen.«
Ryan bleckte die Zähne zu einer makabren Grimasse.
Ich verdrehte die Augen.
»Wann heiratete Miriam Avram Ferris?«, fragte ich.
»Siebenundneunzig.«
»Ziemlich bald nach dem Tod ihres ersten Gatten.«
»Es gibt Witwen, die springen gleich in den Markt zurück.«
Miriam war mir nicht als große Springerin vorgekommen, aber ich behielt den Gedanken für mich.
»Wie lange ist Kaplan schon geschieden?«
»Madame machte die Fliege, als er zum zweiten Mal im Bordeaux saß.«
»Autsch.«
»Ich habe mir Kaplans Gefängnisakte angesehen. Er machte keine Probleme, schien sich wirklich bessern zu wollen und wurde nach der Hälfte der Strafe entlassen.«
»Dann hat er also einen Bewährungshelfer?«
»Michael Hinson.«
»Wann wurde er entlassen?«
»Zweitausendeins. Laut Hinson ist Kaplan seitdem ein legitimer Geschäftsmann.«
»Was für ein Geschäft?«
»Guppys und Meerschweinchen.«
Ich hob fragend die Augenbrauen.
»Centre d’animaux Kaplan.«
»Er hat eine Tierhandlung?«
Ryan nickte. »Ihm gehört sogar das Haus. Guppys unten, Kaplan oben.«
»Meldet er sich noch bei seinem Bewährungshelfer?«
»Einmal im Monat. Er bewährt sich als Bewährter.«
»Bewundernswert.«
»Hat bis vor zwei Wochen keinen einzigen Termin verpasst. Aber am vierzehnten Februar hat er sich weder gezeigt noch angerufen.«
»Der Montag nach dem Wochenende, an dem Ferris erschossen wurde.«
»Willste mal ’nen Spitz streicheln?«
»Bergeron erwartet mich um eins.«
Ryan schaute auf die Uhr.
»Treffen wir uns um halb drei unten?«
»Ich bringe Frolic mit.«
Bergerons Praxis befindet sich an der Place Ville-Marie, in einem Hochhaus an der Ecke René-Lévesque und University. Er teilt sie sich mit einem Partner namens Bougainvillier. Ich habe Bougainvillier noch nie gesehen, aber ich stelle mir immer eine blühende Rankenpflanze mit Brille vor.
Nach der Fahrt ins Centre-ville parkte ich in der Tiefgarage und fuhr mit dem Aufzug in den siebzehnten Stock.
Bergeron war noch mit einem Patienten beschäftigt, also setzte ich mich ins Wartezimmer und stellte den Karton neben meine Füße. Mir gegenüber saß eine kräftige Frau, die in einer Châteleine
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