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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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wieder einen Blick nach draußen warf, war er verschwunden.
    Ich vergewisserte mich, dass ich noch im Besitz des Notizblocks war, den ich eingesteckt hatte, und ging zur Tür. Öffnete sie ein winziges Stück, schaute durch den Spalt nach draußen.
    Der Mann hatte bereits den Flur durch die Tür zum Treppenhaus betreten.
    Scheiße – er kommt in die Wohnung!
    Vorsichtig schob ich die Tür zu und stellte mich, mit dem Rücken zur Wand, direkt neben die Türangeln. Ich griff nach dem Messer, lauschte auf seine Schritte. Dann begann sich die Tür zu öffnen.
    Zögern.
    Sie öffnete sich noch ein Stück mehr, aber nicht ganz. Durch den Schlitz zwischen Tür und Rahmen konnte ich sein Gesicht erkennen. Er hatte eine dicke Narbe im Gesicht, die genau bis zum Mundwinkel lief und sich im Mund fortzusetzen schien. Er machte noch einen Schritt nach vorn. Jetzt konnte ich nur noch seinen Hinterkopf erkennen. Wieder ein paar Zentimeter. Neben der Tür kam sein Fuß zum Vorschein. Er wusste, dass irgendetwas nicht stimmte, und dazu brauchte er weder die Plastikfetzen am Fenster noch das Türschloss zu sehen.
    »Vee?«, sagte er leise.

    Er trat einen Schritt zurück.
    »Vee?«
    Noch einen Schritt.
    In der Wohnung war es jetzt so still, dass ich sicher war, er konnte mich atmen hören.
    Er trat einen weiteren Schritt zurück, und ehe ich begriff, was los war, füllten sein Auge und ein Teil seines Gesichts den Spalt zwischen Tür und Rahmen aus – und sein Blick wanderte von dem Messer in meiner Hand hinauf zu meinem Gesicht.
    Mit einem Mal standen wir uns – durch die Tür getrennt – Auge in Auge gegenüber.
    Den Bruchteil einer Sekunde später rannte er los.
    Als ich es hinaus in den Flur geschafft hatte, war er schon durch die Tür am anderen Ende gelaufen. Seine Schulter verschwand links aus meinem Blickfeld, als er die Treppe erreichte. Ich sprintete los.
    Ich nahm zwei Stufen auf einmal und drehte das Messer so, dass die Spitze des Griffs nach unten und die Klinge hinauf zu meinem Ellbogen zeigte. Als ich unten ankam, schaute er gerade über seine Schulter zurück und lief in Richtung der Grasfläche, an deren Ende ein Metallzaun die Gebäude zur Straße hin abgrenzte. Er sah jünger aus als ich, zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig. Seit Derryns Tod war ich viel gelaufen, um all die Frustration und die Wut abzureagieren, doch wegen seines Alters war er zwangsläufig fitter.
    Dann aber nahmen die Umstände eine Wendung zu meinen Gunsten.
    Die Jugendlichen, die ich bei meiner Ankunft gesehen hatte, hatten ihr Fußballspiel ein Stück näher ans Haus verlegt. Als der Mann sich noch einmal umschaute, kreuzte einer der Jungen seinen Weg. Die beiden stießen zusammen.
Der Junge drehte sich wie in einer Pirouette auf der Stelle, ehe er zu Boden fiel. Der Mann stolperte über ihn, obwohl er in letzter Sekunde noch auszuweichen versuchte. Er strauchelte und stürzte, wobei sein Körper hart auf dem Boden aufprallte. Einige Sekunden lang war er benommen. Dann gelang es ihm, auf alle viere und schließlich wieder in die Senkrechte zu kommen. Doch seine Schuhe glitten im Matsch aus, und er ging abermals zu Boden.
    Als ich ihn erreichte, stieß er mir einen Fuß in den Magen. Ich taumelte rückwärts, verlor das Gleichgewicht, bekam aber seinen Mantel zu packen. Ich zog ihn zu mir herunter. Im Fallen trat er nach mir, wobei er eine Seite meines Gesichts erwischte. Der Stoß lähmte mich für einen Moment. Ich ließ das Messer fallen. Blinzelte. Versuchte, wieder scharf zu sehen. Er blickte zwischen mir, dem Messer und dem Zaun hin und her. Diese winzige Verzögerung half mir: Ich packte die Vorderseite seines Mantels und landete einen Haken an seinem Kopf.
    Er ging zum Gegenangriff über und schnappte meinen Arm, um ihn zu brechen. Ich befreite mich, zielte mit der Faust mitten in sein Gesicht, verfehlte ihn aber. Dann versuchte ich es noch einmal. Er wich nach links aus, sodass mein Schlag den Erdboden traf. Er nutzte meine Gewichtsverlagerung, um mich von sich herunterzuschieben. Als ich mich wieder in seine Richtung drehte, war er bereits weggerollt und – von oben bis unten mit Schlamm bedeckt – wieder auf den Beinen.
    »Stopp!«, brüllte ich.
    Doch er blieb nicht stehen. Als ich wieder stand, war sein Vorsprung uneinholbar. Er drehte sich ein letztes Mal um, als er in die Knie ging, um durch ein Loch im Zaun zu schlüpfen. Sobald er die Sicherheit der anderen Seite erreichte, zog er die Kapuze seiner Jacke hoch, sodass ich

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