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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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leben konnte. Kein belastendes Material. Keine Nummer. Nichts, was sich zurückverfolgen
ließe. Doch was immer diese Leute mit Alex zu tun hatten: Sie warnten mich davor, weiter zu suchen. Vielleicht war ich dicht daran, etwas zu finden, vielleicht auch nicht, ein Stück vorangekommen war ich auf jeden Fall.
    Als ich mich in der Wohnung aufgehalten hatte, war Licht von den Fenstern auf die Oberfläche des Notizblocks gefallen und hatte Kratzer und Rillen von Notizen hervorgehoben. Ich zog einen Bleistift aus meiner Jacke und fuhr mit der Spitze vorsichtig über den Block. Langsam traten Wörter hervor. Oben rechts: Vee anrufen . In der Mitte, nicht so tief eingedrückt und undeutlicher: Paul. Stephen. Zack. Weiter unten und erst dann zu entziffern, als ich den Block direkt ans Fenster hielt, stand eine Telefonnummer.
    Ich nahm mein Handy und wählte die Nummer.
    Nach einer Weile meldete sich eine Stimme: »Angel’s Soho.«
    Ich wartete und hörte im Hintergrund Gespräche.
    »Spreche ich mit Angel’s Pub ?«
    »Ja.«
    Ich wartete noch einen Moment, dann legte ich auf.
    Von der Telefonauskunft erhielt ich die Adresse zu der Nummer. Ein Pub am Rande von Chinatown. Aber das war mir schon klar gewesen, ehe ich überhaupt angerufen hatte. Während meiner Ausbildung hatte ich mit einem älteren Kerl namens Jacob zusammengearbeitet, einem erfahrenen Reporter, der für die City zuständig war. Das Angel’s war damals sein Stammlokal gewesen. Ein paar Jahre später, als er sich ins ländliche Norfolk in den Ruhestand verabschiedete, hörten seine Besuche im Angel’s auf.
    Meine allerdings nicht.
    Ich besuchte den Pub regelmäßig, bis Derryn krank wurde.

    Mein Wagen stand auf der anderen Seite des Parks. Ich betrat ihn am Hyde Park Corner und hielt mich Richtung The Serpentine. Ringsum war alles still. Die Bäume waren kahl wie Skelette, der See so düster, als wäre dort ein Loch im Boden. Modellboote glitten über die Oberfläche, in ihren Segeln fing sich der Wind. Ich ging weiter, verzaubert von den Gerüchen und Geräuschen des Ortes; vom Gras, das herabgefallene Blätter wie eine Decke überzogen; von den Eichen und Ulmen, die in der Brise flüsterten.
    Kinder rannten vor mir her – ihre schmutzigen Fußabdrücke verrieten, wo sie sich herumgetrieben hatten. Ihre Eltern schauten von der Seite aus zu: plaudernd, lachend, kleine Atemwölkchen ausstoßend. Der Anblick tat mir weh, erweckte in mir ein dumpfes Gefühl von Einsamkeit. Ich erinnerte mich an die Gelegenheiten, als Derryn und ich davon gesprochen hatten, eine Familie zu gründen. Wir hatten es fünfzehn lange Monate versucht, bevor sie erkrankte, danach bekamen wir keine Chance mehr, es zu probieren.
    Manchmal dachte ich an Derryn, an den Anblick ihres Sarges, wie er in der Erde versenkt wurde, und erinnerte mich an das Gefühl der Endgültigkeit. Das Gefühl, dass es nun keinen Zweifel mehr gab; sie war fort und würde nicht wiederkommen. Tief in mir wusste ich, dass es unmöglich war, dass Alex bei einem Verkehrsunfall getötet worden war und trotzdem noch leben konnte; genau wie ich wusste, dass Derryn nicht mehr da war. Und trotzdem: Wenn ich in Marys Augen schaute, war sie so überzeugt, so klar, als hätte sie nicht den geringsten Zweifel an dem, was sie mir sagte. Und ich wusste, dass ein kleiner Teil von mir wollte, dass sie recht hatte. Ich wollte , dass Alex lebte, wie unmöglich es auch schien. Denn dieser Drang, herauszufinden, ob es möglich war, hielt mich lebendig.

    Und er half mir, zumindest vorübergehend, meine Einsamkeit zu vergessen.
     
    Als ich mein Auto erreichte, begann nach Tagen bedeckten Himmels und beißender Winde endlich der Schnee zu fallen und durch die Straßen der Stadt zu wirbeln. Ich stieg ein, drehte die Heizung bis zum Anschlag auf und scrollte durch die Nummern im Adressbuch meines Handys. Als ich die gefunden hatte, die ich suchte, drückte ich die Anruftaste.
    »Bürgerberatung.«
    Ich lächelte. »Oh, ich glaub’s nicht.«
    »Wer ist da?«, fragte die Stimme.
    »Bürger beratung ?«
    » David? «
    »Ja. Wie geht’s dir, Spike?«
    »Mann, das ist ja Ewigkeiten her.«
    Wir plauderten eine Weile und brachten uns gegenseitig auf den neuesten Stand der Dinge. Spike wohnte in Camden Town und entsprach der Lexikondefinition für »illegal«: ein russischer Hacker mit einem abgelaufenen Studentenvisum, der in seiner Wohnung einen Informationsdienst ausschließlich gegen Barzahlung betrieb. Während meiner Jahre bei der

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