Totgesagt
geritzt war. In den bröselnden Steinwänden waren im Abstand von jeweils etwa einem Meter dicke, schmiedeeiserne
Ringe befestigt. An jedem dieser Ringe baumelte ein Paar Handschellen. Ich trat in den Raum. Er war rund dreizehn Meter lang und roch widerlich. Nackte Holzdielen, zerkratzt und schmutzig, bedeckten den Fußboden; außerdem gab es vier Fenster, die alle mit Laken verhängt waren. Ich drehte mich um und betrachtete einen der Ringe in meiner Nähe, der halb verborgen hinter der Tür hing. In die Wand oberhalb des Rings hatte jemand eine Nachricht geritzt: Hilfe! Ich beugte mich vor. In den Ritzen der Buchstaben entdeckte ich Stücke von Fingernägeln.
Ich verließ den Raum und wandte mich der dritten Tür zu.
Das Bad.
Immerhin war das Inventar weitgehend komplett, inklusive Waschbecken, Toilette und Wanne. Die Wanne war schmutzig, voller Haare und abgebrochener Fliesenstücke, doch das Waschbecken wirkte sauber und war offenbar kürzlich benutzt worden, denn um das Abflussloch herum standen Wassertropfen. An der Wand darüber hing ein Spiegel. Ich trat darauf zu. Die Blutergüsse auf meinen Wangen und an den Seiten meines Schädels leuchteten inzwischen gelb und grün. Nur mein Auge war noch blutunterlaufen. Ich beugte mich zum Spiegel vor.
Dann entdeckte ich etwas hinter mir.
Die Badewanne.
Die Verkleidung ihrer Seitenwand passte nicht ordentlich. Ich kniete mich nieder und drückte dagegen. Mit einem ploppenden Geräusch gab sie in der Mitte nach; dann sprang sie in ihre ursprüngliche Form zurück. Wieder drückte ich dagegen. Diesmal lösten sich die Ecken der Verkleidung. Die Kanten waren ringsum leicht gezackt, als hätte man sie mit einer Säge beschnitten. Ich zog die Verkleidung an einer Seite heraus, schob meine Finger in den entstandenen
Schlitz und zog weiter. Jetzt kam mir die ganze Seitenwand entgegen.
In dem Hohlraum rings um das Halboval der Wanne waren Hunderte Glasfläschchen gestapelt. Sie nahmen den kompletten Raum ein, dunkelbraun, undurchsichtig und mit identischen Aufklebern versehen. Am Bauch jedes Fläschchens befanden sich Gebrauchshinweise in einer kaum lesbaren Schrift. Oben stand ein Name. KETAMINE.
Ich nahm eines der Fläschchen heraus.
Klick.
Ein Geräusch von draußen. Steinchen, die jemand angestoßen hatte.
Ich trat ans Fenster des Badezimmers. Jemand kam auf das Haus zu. Eine Frau. Sie war jung. Dunkelbraune Haare und Ponyfrisur. Blass, weiche Haut. Enge Jeans, ein dünnes rotes Oberteil und eine pink und weiß gemusterte Skijacke. Sie trug klobige, pelzbesetzte Stiefel, unter denen der Schnee knirschte. Beim Gehen stieß sie einzelne Schotterstücke ins Gras.
Ich hatte keine Zeit, zu verschwinden – ich konnte mich nicht einmal mehr unten in der Speisekammer verstecken. Also brachte ich hastig die Verkleidung der Wanne wieder an und huschte zurück in Raum B, den Raum mit den Ringen. Hinter der Tür zog ich die Pistole heraus und entsicherte sie. Trotz der Kälte waren meine Finger feucht.
Dann fiel mir die Reservemunition ein.
Sie war immer noch im Wagen, genauer gesagt im Handschuhfach.
Scheiße.
Im Treppenhaus erklangen Schritte. Zwischen Tür und Rahmen konnte ich durch den schmalen Spalt schauen. Immerhin war er breit genug, dass ich die Frau die Treppe heraufkommen und den Flur entlang ins Bad gehen sah.
Ich hörte das schneidende Geräusch, mit dem die Verkleidung der Wanne abgenommen wurde. Fläschchen klackten gegeneinander. Sie begann vor sich hinzusummen. Ich trat hinter der Tür hervor, machte einen großen Satz von der Zimmertür zum Eingang des Bads und drückte ihr die Pistole an den Hinterkopf.
»Keine Bewegung!«
Sie zuckte zusammen, als wäre ein Stromstoß mitten durch sie gefahren. Aus den Augenwinkeln schaute sie über ihre Schulter, ohne sich zu bewegen.
»Stehen Sie auf!«
Langsam erhob sie sich. In der einen Hand hielt sie drei Fläschchen, die andere hatte sie erhoben, um mir zu signalisieren, dass sie keinen Widerstand leisten würde.
»Wie heißen Sie?«
»Sarah«, erwiderte sie leise.
»Gut, Sarah. Und jetzt verraten Sie mir, was, zum Teufel, hier vor sich geht.«
Sie machte keinerlei Anstalten, mir zu antworten. Also ließ ich die Pistole sinken und packte sie im Nacken. Sie zuckte zusammen, als wollte ich sie schlagen. Als ich sie umdrehte und in Raum B schob, zuckte sie abermals. Ich drückte ihren Kopf nach unten, sodass sie gebückt gehen musste. Ihr Gesicht befand sich jetzt unmittelbar vor dem » Hilfe!«
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