Totgesagt
Ein Pfad von gefrorenen Fußabdrücken führte eine Steigung hinab und zur Rückseite des Hauses. An der Vorderseite gab es eine zweite Überwachungskamera, die zum Tor an der Einfahrt hin ausgerichtet war.
Das zweite Gebäude war groß genug, um Platz für mindestens fünf Zimmer zu bieten. Es lag ein ganzes Stück von der Straße entfernt am Ende eines unebenen Schotterweges. Die Fenster waren verdunkelt. Von den Wänden blätterte der Putz. Wäre der Schnee nicht beiderseits der Tür zu säuberlichen Haufen aufgetürmt gewesen, hätte das Gebäude völlig unbewohnt gewirkt. Eine dritte Kamera war auf die Eingangstür gerichtet.
Der Zugang zu diesem zweiten, größeren Gebäude wirkte ungepflegt. Die Überreste alter, nicht mehr genutzter Baracken voll gefrorener Heuballen und rostiger Maschinenteile säumten den Weg. Hinter dem Farmhaus lag das Meer. Die Brandung schlug auf den mit flachen Eisschollen übersäten Strand. Mit jeder Welle, die das Ufer erreichte, trug der bitterkalte arktische Wind den Geruch der Farm zu mir herüber.
Ich beugte mich zur Seite und durchsuchte das Handschuhfach. Schließlich fand ich eine Drahtschere. Ich würde am äußersten Ende des Grundstücks, das nicht im Blickfeld der Kameras lag, durch den Zaun eindringen und mich zu dem ersten, kleineren Gebäude vorarbeiten.
Dort würde ich mir den nächsten Schritt überlegen.
Ich warf einen prüfenden Blick auf die Drahtschere und
schaute erneut ins Handschuhfach. Es war jetzt leer bis auf ein Päckchen Munition Kaliber.22.
Und die Pistole.
Eine geladene Beretta 92. Genau das Modell, dessen Imitat Dad im Versandhandel bestellt hatte. Genau das Modell, das ich im südafrikanischen Kampfgebiet gefunden hatte – und dem ich die Patrone entnommen hatte, die ich immer bei mir trug.
Ich öffnete meine schwarze Jacke und nahm die Kugel aus der Innentasche, ließ sie in meine Hände rollen. Ich erinnerte mich an den Tag in dem Township: die Schüsse, die Angst; die Sonne, die den Asphalt unter unseren Füßen zum Schmelzen brachte. Dann erinnerte ich mich daran, wie mein Dad mir folgte und mich im Auge behielt, wenn ich in den Wald ging. Als Kind hatte ich Waffen abgefeuert, um ihm zu gefallen. Niemals aus Leidenschaft oder Hingabe, niemals mit der Absicht, je außerhalb des Waldstücks, in dem wir jagten, eine Waffe zu benutzen. Jetzt hielt ich eine echte Pistole in den Händen.
Zwei Tage zuvor hatte ich eine solche Waffe abgefeuert und damit ein Leben beendet. Noch immer spürte ich nichts, wenn ich an Zack dachte. Oder an Jason, der auf dem Boden gelegen hatte und dessen Hirn durch das Loch in seinem Kopf ausgetreten war; dessen Blut auf meine Kleidung und meine Haut gespritzt war. Ein wenig Begreifen höchstens, eine leichte Nervosität, sonst nichts. Das war der Grund, warum ich nicht die Polizei rufen konnte. Warum ich die Sache allein durchziehen musste.
Ich hatte zweimal getötet.
Und ich würde es wieder tun müssen.
35
Das kleinere Gebäude erinnerte an ein altes Cottage: blassrote Fensterbretter und Rahmen, Kästen mit verwelkten Blumen, ein Namensschild neben der Tür mit der Aufschrift BETHANY. Ich näherte mich diagonal aus Richtung des Lochs, das ich in den Zaun geschnitten hatte, und benutzte die leeren Schuppen als Deckung. Auf der Rückseite des Gebäudes gab es eine alte Tür, deren Anstrich Blasen warf. Ich steckte die Pistole in meinen Gürtel und drückte gegen die Tür. Sie öffnete sich ächzend und langsam.
Hinter der Tür befand sich eine Küche. Am Spülbecken fehlten die Armaturen und Stücke der Abflussrohre. Ein Teil der Schränke war abmontiert worden. In der Mitte des Raums lagen die Reste eines Tischs, den jemand in mehrere Teile zerhackt hatte. Von der Küche gingen zwei Türen ab: eine zu einer Vorratskammer, die andere zu einem Wohnzimmer ohne jegliche Möblierung. Vom Wohnzimmer führte eine weitere Tür zur Treppe.
Ich stieg hinauf.
Im ersten Stock gab es keinen Teppich. Die erste von drei Türen führte in ein Schlafzimmer. Ins Türblatt war ein »A« geritzt. Drinnen reichte ungefähr in der Mitte der seitlichen Wand ein Kaminabzug vom Boden bis zur Decke. Er ragte einen knappen Meter aus der Wand hervor. An den Fenstern gab es keine Vorhänge. Nur Laken. Sie bewegten sich im Luftzug, als ich durch die Tür trat. Keine Betten. Keine Schränke. An einer Wand zogen sich Wasserspuren herab, die von Löchern im Dach herrührten.
Ich schaute ins zweite Schlafzimmer, in dessen Tür ein »B«
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