Totgesagt
nicht schön, doch ihr Gesicht besaß einen hypnotischen Ausdruck. Es lenkte einen ab, sodass man wichtige Sekunden verlor.
»Sarah?«
Inzwischen war er im Haus. Ich riss mich von ihr los, legte ihr eine Hand auf den Mund und zog sie hoch. Langsam tastete ich mich rückwärts in Raum A, ihren Körper vor mir, meine Pistole über ihrer Schulter.
»Sarah?«
Eine Stufe ächzte.
Ich schob sie in die Mitte des Raumes und trat selbst hinter die Tür. Sie betrachtete mich und sah, was ich ihr zu sagen hatte: Machen Sie keine Dummheiten.
»Sarah?«
Sie wandte sich der Tür zu. »Ich bin hier oben.«
Durch den Spalt hinter der Tür schaute ich zur Treppe. Ein Kopf tauchte auf, aber langsam, so als ahnte er, dass etwas nicht stimmte.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja, alles bestens.«
»Was machst du?«
Ein osteuropäischer Akzent.
Kurz vor dem Ende der Treppe blieb er stehen und sah sich um. Zwischen den Pfosten des Geländers hindurch sah ich Teile seines Gesichts. Sein Blick huschte zwischen den Türen hin und her.
»Ich hole nur den Nachschub.«
Er trat einen weiteren Schritt vor.
»Warum dauert das so lange?«
Sie zögerte. Schaute mich an.
Ich musterte den Mann auf der Treppe, dessen Gesicht
ich jetzt sehen konnte. Stephen Myzwik. Er wirkte älter als auf den Verbrecherfotos, dafür schlanker und entschlossener. Als er die letzte Stufe hinaufstieg, griff er mit einer Hand nach hinten in seinen Hosenbund. Um eine Waffe zu ziehen.
»Es ist warm hier.«
Ich warf Sarah einen schnellen Blick zu. Was, zum Teufel, reden Sie da? Sie starrte einfach zurück. Sagte kein weiteres Wort. Als ich mich wieder zu Myzwik umdrehte, sah ich, dass er seine Waffe gezogen hatte und sie in Richtung der Zimmer schwenkte. Er bewegte sich beinahe lautlos.
»Wo?«
»Raum A«, erwiderte sie.
Sie verständigten sich in einem Code.
Ich umklammerte die Pistole und sah, wie Myzwik sich auf die Tür zubewegte. Stehen blieb. Sarah entdeckte. Und ohne dass sie ein Wort sagte, sofort zu wissen schien, wo ich war.
Ich duckte mich, als er zweimal durch die Tür schoss.
Der Lärm zerfetzte die Stille, brach durch die Wände und schallte über die Felder. Über mir splitterte Holz, als die Kugeln das Türblatt durchschlugen. Es regnete Gipsputz in meine Haare und mein Gesicht.
Ich trat gegen die Tür, die mit lautem Knall zufiel, sodass der Rahmen erzitterte. Sarah schaute zu mir, dann zur Tür, als wollte sie entscheiden, ob sie es bis dorthin schaffen konnte, ehe ich sie erreichte. Doch sie versuchte es nicht. Stattdessen drehte sie sich – die Hände wieder erhoben – um und entfernte sich langsam von mir. Ich hob die Pistole, zielte auf sie, rannte dann quer durchs Zimmer, packte ihren Arm und riss sie vor mich.
»Myzwik!«, brüllte ich durch die Tür.
Nichts. Kein einziges Geräusch war von draußen zu hören.
»Ich habe sie und ich t…«
Ein Handy begann zu klingeln – auf der anderen Seite der Tür. Es war Myzwiks. Langsam drehte sich der Türknauf. Ich zog Sarah noch fester an mich, einen Arm um ihren Hals gelegt, den anderen über ihre Schulter. Ich zielte auf die Tür.
Sie öffnete sich.
Myzwik stand mit gesenkter Waffe in der Öffnung. Mit der anderen Hand hielt er sein Handy ans Ohr. Seine Augen waren blass, beinahe in der Farbe seiner Haut, und er ließ sich einen Bart wachsen – pechschwarz -, der ihm ein merkwürdiges, fremdartiges Aussehen verlieh. Auf seinem Gesicht wechselten Licht und Schatten ab. Er ließ mich nicht aus den Augen, selbst als sein Handy wieder zu klingeln begann.
Er meldete sich.
Ich hörte das leise Murmeln einer Stimme am anderen Ende, konnte aber unmöglich irgendetwas verstehen. Myzwik hörte einfach zu und starrte mich an. Sein Spiel war offensichtlich: Er stand in der Tür, versperrte mir den Weg und signalisierte mir, dass er nicht glaubte, dass ich auf ihn schießen würde. Vor mir konnte Sarah wahrscheinlich meinen Herzschlag an ihrer Wirbelsäule spüren. Vielleicht gelang es mir doch nicht, der Mann zu sein, der ich sein musste. Der Mann, der ich sein musste, würde die Waffe auf Myzwik richten und ihm eine Kugel in den Schädel jagen, ehe sich alles zu einer noch unkontrollierbareren Situation hochschaukeln konnte.
Myzwik nickte zu etwas, das die Stimme gerade gesagt hatte. »Ja, er hat sie.«
»Legen Sie das Handy weg«, sagte ich.
Er gehorchte nicht. Die Stimme redete weiter, ein konstantes Trommelfeuer von Instruktionen.
»Sind Sie sicher?«, fragte er
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