Totsein ist Talentsache (German Edition)
„Das
erledige ich schon.“ – „Ja, das Übliche …“, sagt Johann Schmid und lässt das
Telefon in seiner Hosentasche verschwinden, ehe er neben Sophie stehenbleibt.
„Unser Herr Direktor Gross! Immer für ein Späßchen zu haben!“, ruft
er. „Frau Doktor! Gnädigste! Es ist immer wieder eine Freude, Sie zu sehen!
Mein Kompliment, Sie sehen zauberhaft aus! Diese Haare, diese Figur!
Beneidenswert! Wie geht es dem Fräulein Tochter?“ Mit einem knappen Kopfnicken
zieht Sophie ihre Hand unter Johanns gespitzten Lippen weg. Sie mag Schmid.
Aber das theatralische Gehabe und die vordergründigen Höflichkeiten nerven sie
manchmal. Dennoch ist Sophie dem Assistenten ihres Mannes verbunden. Immerhin
sorgt Schmid dafür, dass unter den gegebenen Umständen so etwas wie normale
Kommunikation zwischen den Eheleuten herrscht und Friedrich einigermaßen
regelmäßig seinen Weg nach Hause findet. Und er versteht es ausgezeichnet,
Außenstehende glauben zu lassen, dass alles in bester Ordnung und Dr. Friedrich
Gross ein in jeder Hinsicht tadelloser Mann ist.
„Teuerste, ich bedaure zutiefst, aber ich muss jetzt Ihren Gatten
entführen. Es ist noch viel zu tun und außerdem ist es Zeit für das
Mittagessen. Sie wissen ja, wie er ist, wenn er Hunger hat“, fügt er hinzu.
Angewidert macht Sophie einen Schritt zurück und verabschiedet sich mit einem
flüchtigen Kuss von Friedrich. Sie weiß, was jetzt kommt. Sie will es nicht
sehen. Sie will nicht darüber nachdenken. Sie will einfach nur weg. Mit
klappernden Absätzen eilt Sophie durch die Halle und bleibt erst vor der Bank
stehen.
Sie bekommt nicht mit, dass Johann zu der Asiatin im Minirock geht,
ihr eindringlich ins Ohr flüstert und sie dann zu Friedrich geleitet. Sie sieht
nicht, dass Friedrich die junge Frau vor allen Anwesenden schon mit seinen
Blicken verschlingt. Und sie hört nicht, dass Johann seinem Chef zuraunt: „Hab
ich mir doch gedacht, dass Sie heute Lust auf etwas Exotisches haben …“
Johann Schmid setzt sich aufs Sofa in Friedrichs Büro, zündet eine
Zigarette an und atmet tief ein. Jetzt hat er endlich ein wenig Ruhe. Gross ist
in seinem abgeschiedenen Kämmerchen beschäftigt und wird frühestens in einer
halben Stunde seine Dienste benötigen. Nach fleischlichen Genüssen dieser Art
dauert es jedes Mal ein wenig, bis Friedrich wieder arbeitstauglich ist.
Sophie ist wie immer bemerkenswert ruhig geblieben. Johann hat
Mitleid mit ihr und bewundert sie auch ein wenig. Sie muss Friedrich
unglaublich lieben, denn sie hat damals gewusst, was kommen würde und die
Konsequenzen in Kauf genommen.
Mit einem Seufzer schickt er ein stilles Dankgebet gen Himmel: Der
Journalist kann jetzt auch als erledigt abgehakt werden. Johann kennt solche
Typen: Sie sehen etwas, können sich keinen Reim drauf machen und fangen an,
nachzubohren. Und dann finden sie etwas. Selbst naturtrübe Menschen wie Schanne
entdecken irgendwann, dass etwas faul ist. Der unweigerlich folgende Skandal
würde unvorstellbare Ausmaße annehmen. Das kann Schmid nicht zulassen. Es ist
sein Job. Und es hängt zu viel davon ab.
„Fressen oder gefressen werden …“, murmelt
er und zieht ein kleines, in Leder gebundenes Buch aus seiner Sakkotasche. Mit
einem nervösen Zucken im Nacken liest er zum zweiten Mal Schannes Notizen.
21. Mai 2012
„Mama, kannst du mir bitte helfen?“ Anna steht vor dem Spiegel und
führt einen Kampf mit ihrem Abendkleid. Derzeit steht es unentschieden: Anna
hat das Prachtstück aus silberner Seide zwar gebändigt, aber es bockt
hinsichtlich Sitz und Halt.
„Mama! Bitte! Ich muss gleich los!“, ruft sie noch einmal. Doch
nichts rührt sich. Ungeduldig rafft Anna die Robe zusammen und hüpft in
Hausschuhen und Lockenwicklern aus ihrer Wohnung. „Mama, wo bist du? Irgendwas
stimmt da nicht mit dem Kleid und ich … Mama, wie kommst du denn daher?“ Eben
schlüpft Sophie aus dem Abstellraum und bleibt erschrocken stehen, als sie ihre
Tochter sieht. Sie wirkt gehetzt und blickt verlegen. Das ist an sich nicht
verdächtig. Sophie schaut oft, als hätte sie etwas angestellt. Hat sie meistens
auch. Bemerkenswert ist allerdings, dass Sophie einen roten Wintermantel sowie
knallgelbe Gummistiefel trägt und sich ein blau kariertes Geschirrtuch vor
ihren Mund gebunden hat. Umso bemerkenswerter, als es Mitte Mai und selbst für
diese Jahreszeit ungewöhnlich warm ist.
„Du solltest endlich deine Garderobe
überdenken, Mama. Oder ist das ein Versuch,
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