Totsein ist Talentsache (German Edition)
progressive Trends zu schaffen?
Wird sich nicht durchsetzen. Also, was soll das?“ Sophie antwortet: „Ich war
im. Kammerl. Hab. Etwas erledigt. Kann´s dir nicht verraten. Und mir. War
kalt.“ Sie versucht in den Augen ihrer Tochter zu lesen, ob sie ihr das
abgenommen hat. Hat sie nicht: „Mama, du bist verdächtig oft da drin. Wenn das
was mit deinen Verkupplungsversuchen zu tun hat, vergiss es! Ich find mir schon
selbst einen Mann. Und zwar wann ich will. Und wen ich will. Warum hast du es
denn so eilig, mich loszuwerden?“ In diesem Moment beginnt das Kleid zu
rutschen. Das erinnert Anna, weshalb sie ihre Mutter eigentlich gesucht hat.
Mit einem hilflosen Schulterzucken und einem verzweifelten Blick auf den Stoff
ihrer Alpträume deutet sie an, dass sie Unterstützung braucht.
Erleichtert, dass Anna nicht weiter
nachbohrt, macht Sophie ihr Kind salonfähig. Zuerst schnappt sie den oberen
Teil des Kleides und dreht ihn von vorne nach hinten. Damit ist das Problem des
schamlosen Ausschnitts gelöst, der eigentlich ein großzügiges Rückendekolleté
ist. Dann entwirrt sie die beiden Seidenbänder, die Anna unter ihren Achseln
zusammengewurstelt hat, und bindet sie im Nacken zu einer Schleife. Damit ist
das Problem der silbrig glänzenden Achselbehaarung gelöst. Zuletzt zupft sie
die kleine Schleppe, die sich irgendwo im Inneren des Oberteils verfangen hat,
heraus und breitet sie hinter Anna aus. Damit ist das Problem des für jedermann
sichtbaren Höschens gelöst. Liebevoll und stolz betrachtet Sophie ihre Tochter.
„Du siehst bezaubernd aus. Das Kleid ist sagenhaft schön. Und ich mag deine
Frisur. Diese großen Locken stehen dir gut.“ Anna schmunzelt und schweigt. Was
kann man in modischer Hinsicht von einer Frau erwarten, die im Mai Wintersachen
trägt und Cocktailschirmchen für eine angemessene Kopfbedeckung hält? „Danke
fürs Helfen, Mama. Ohne dich müsste ich im Bademantel auf den Ball gehen.“ Sie
wirft einen Blick auf ihre silberne Armbanduhr und sagt: „Holla, jetzt wird´s
aber Zeit! Es wird heute sicher später. Keine Sorge, ich nehm mir ein Taxi. Und
Jo ist ja auch mit. Also entspann dich und tu nichts, was ich nicht auch tun
würde!“ Eine Polonaise summend läuft sie zurück in ihre Wohnung.
Anna besucht das Maifest im Mediencenter. Als Tochter von Friedrich
und Sophie Gross. Niemals würde sie als kleine Journalistin zu dem
Gesellschaftsereignis des Jahres eingeladen werden und freiwillig würde Anna
eine solche Veranstaltung nicht besuchen. Zumindest nicht als Gast und Tochter.
Aber in geheimer Mission für ihren großen Traum: Sie will ein Buch schreiben.
Über die Mitglieder der selbst ernannten „feinen Gesellschaft“. Für Anna grenzt
es nämlich schon an Verblendung, sich in einem Land, in dem buchstäblich jeder
in Wohlstand lebt, immer noch für etwas Besseres zu halten. Zumal, wenn diese
Leute, sobald sie sich unter „Ihresgleichen“ aufhalten, ein Benehmen an den Tag
legen, das in einem Affenstall oder einer Schlangengrube besser aufgehoben
wäre. Das Maifest ist die perfekte Gelegenheit für das Sammeln von Hintergrundinformationen.
Alles, was in Österreich Rang, Namen und zu viel Geld hat, ist anwesend. Ebenso
dessen Nachwuchs. Die meisten dieser hauptberuflichen Söhne und Töchter sind
aus einem einzigen Grund hier: Sie wollen einen in Farbe und Ausstattung zu
ihrem Sportwagen passenden Partner finden.
Anna hat Jo in einem stundenlangen Kampf erst zum Mitkommen und dann
zu einem Smoking überredet. Leicht ist das nicht gewesen. Sie schuldet ihm
jetzt eine Fahrt mit dem Cabrio, ein Abendessen und einen ihrer Slips.
Getragen. Was tut man nicht für eine gute Geschichte und männlichen
Begleitschutz. Jo ist nicht offiziell eingeladen. Er ist Annas „+1“. Ihn als
ihren Freund auszugeben wäre unglaubwürdig, also stellt sie ihn auf dem Fest
als Cousin zweiten Grades vor. Ist zwar auch fragwürdig, macht sie aber nicht
zum Gespött der Leute.
Nicht, dass Anna gesteigerten Wert auf die
Meinung anderer legt. Es ist nur einfacher, den Leuten zu erklären, dass ihr
Verwandter ein begeisterter Hobbyfotograf und großer Fan von Klara Zehner ist.
Keiner würde ernsthaft glauben, dass die Tochter von Friedrich Gross einen
Lebensgefährten hat, der wie ein Verrückter vor der Grand Dame der
österreichischen Medienwelt auf und ab hüpft und im Falsett „Hierher schauen!
In die Kamera!“ kreischt.
Verzückt starrt Jo auf den Rücken vor sich und überlegt,
Weitere Kostenlose Bücher