Totsein ist Talentsache (German Edition)
Lage sein, sich
selbst zu versorgen. Sie soll lernen, dass Geld allein nicht glücklich macht.
Nicht zu jeder Bedingung zumindest. Was nützt ein sagenhaftes Vermögen, wenn
man dadurch ein Gefangener der Umstände wird? Sophie mag ihren Lebensstil. Sie
geht gerne einkaufen, erlesen essen und ins Theater. Aber sie würde jedes
Designerkleid, jedes Kaviarhäppchen, jede Premierenkarte geben, wenn sie dafür
wieder eine richtige Ehe führen könnte. Wenn sie wieder einen Gefährten und Anna
einen Vater hätte.
Aber was geschehen ist, ist geschehen. Die
Vergangenheit kann sie nicht ändern. Deshalb hat Sophie es sich zur Aufgabe
gemacht, an der Zukunft rumzupfuschen. Nicht an ihrer eigenen, dafür ist es zu
spät. Aber Anna hat noch Chancen auf ein normales Leben. Mit Sorgfalt und
beinahe detektivischem Spürsinn ist Sophie daher auf der Suche nach dem
perfekten Ehemann für Anna. Perfekt vor allem hinsichtlich seines Berufes. Er
soll gut situiert sein. Aber nicht zu gut. Das ist erstens aufgrund von Annas
finanzieller Situation nicht nötig. Und zweitens haben zu erfolgreiche Männer -
nun ja – ihre Fehler. Natürlich nimmt Anna die von Sophie arrangierten Treffen
mit potentiellen Heiratskandidaten nicht ernst und boykottiert sie, wo sie nur
kann.
Aber Sophie gibt
nicht auf. Eine Zeit lang hat sie sich mit Freundinnen zu strategischen
Lagebesprechungen getroffen. Wie Schachfiguren haben sie einander den
heiratsfähigen Nachwuchs zugeschoben – wer beim einen Kind erfolglos geblieben
ist, hat beim anderen eine neue Chance bekommen. Vergangenes Jahr haben die
Frauen sogar Partys veranstaltet, wo die ledige Nachkommenschaft geballt
aufeinandertreffen und sich optimalerweise verlieben sollte - ein
Beziehungsbazar ohne Rückgaberecht. Aber immerhin mit Umtauschoption.
Ganz in ihren Gedanken versunken bemerkt Sophie
nicht, dass jemand vor ihr steht. „Hast du Sport gemacht?“, fragt Anna mit
einem Blick auf das Abendkleid. „Trägst du da nicht immer das Rote?“ Sie lässt
sich neben ihrer Mutter auf die Couch fallen und streift mit einem Seufzen die
Schuhe von den Füßen. Die cremefarbenen Stöckelschuhe sind eindeutig nicht das
geeignete Schuhwerk für diesen Job. Zumal sie das gleiche Modell sind wie jene,
die für den Hingucker des Abends gesorgt haben. Anna hat zur Sicherheit den
Rest der Party sitzend verbracht und sich von Jo bis in die Damentoilette
tragen lassen. Seine wilden Phantasien heute Nacht kann man nur erahnen. Wenn
man das will.
Nachdem Anna
ihre schmerzenden Zehen massiert und Sophie von der Party erzählt hat, gibt sie
ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwindet humpelnd in ihrer Wohnung. In
Gedanken schon mit der Auswahl einer angemessenen Bettlektüre beschäftigt,
schließt sie die Tür hinter sich und dreht den Schlüssel um.
Anna sperrt zu. Konsequent und aus Überzeugung.
Früher ihr Zimmer, heute ihre Wohnung. Und je nach Gelegenheit und
Aufenthaltsort auch Hotelzimmer, Auto- sowie Toilettentüren, Schränke und den
Käfig von Sophies Wellensittich. Jedes Schloss hat einen Schlüssel und der wird
zweimal umgedreht. Widerstand ist zwecklos. Ursache dieses Verhaltens liegt in
einem Erlebnis, das Anna vor Jahren gehabt hat.
Anna ist damals von einem unheimlichen Schlurfen und
Poltern munter geworden. Versteckt unter der Bettdecke hat sie sich von ihrer
nur mehr in der Theorie und für Mama vorhandenen Jungfräulichkeit
verabschiedet. Und von zwei Fingernägeln, die sie in ihrer Panik auch noch
verschluckt hat. Irgendwann hat sie beschlossen, dass Sophies Schmuckschatulle
und Friedrichs Safe wohl weit attraktivere Ziele für Einbrecher sind als ihr
pickeliger Hintern. Gerade, als sie ein wenig ruhiger geworden ist und in
Gedanken ein Szenario entworfen hat, in dem sie Eltern und Familienvermögen
heldenhaft aus den Klauen der Schurken rettet, ist Sophie hereingestürmt.
Vollkommen aufgelöst und sichtlich nervös hat sie etwas von einem Eindringling
gestammelt und ihre Tochter angefleht, zu bleiben, wo sie ist. Anna hat das
getan, was jedes wohlerzogene Kind tun würde und ist unmittelbar hinter Sophie
aus ihrem Zimmer geschlüpft. Die Diele ist ein Schlachtfeld gewesen. In dem
Chaos aus umgestoßenen Möbeln und zersplittertem Glas hat jemand eine Blutspur
hinterlassen. „Die Haushälterin hat ihn mit einer Vase in die Flucht
geprügelt“, so die Erklärung der Mutter.
Sophie hat wegen des Einbruchs damals keine Anzeige
erstattet. „Papa hat gerade erst diese Auszeit genommen und
Weitere Kostenlose Bücher