Totsein verjaehrt nicht
nicht mehr. Seit dem Prozess.« Willi trank. »Wenn die Luisa das mitgekriegt hätt, hätt sie ihn eigenhändig erstochen. Die war ziemlich temperamentvoll. Vor der Sache mit der Scarlett. Danach ist alles den Bach runtergegangen, und jetzt hocken wir hier. Könnt schlimmer sein.«
»Die Mimi war früher auch im Akropolis«, sagte Fischer.
»Wo sonst?«
»Und die Luisa hat nie was gemerkt.«
»Nein.«
»Glaub ich nicht.«
»Dann glaubs halt nicht.«
Sehr abrupt stand der bärtige Mann am Nebentisch auf, hielt nach dem Wirt Ausschau, zeigte ihm einen Zehneuroschein, legte diesen auf den Tisch und ging zur Tür, verfolgt von Mimis ebenso wehmütigem wie resigniertem Blick.
»Jetzt bist du dran«, sagte Willi zu Fischer.
In Gablers Büro herrschte Schweigen.
Minutenlang hatte Micha Schell noch einmal seine Wut über Fischers Verhalten ausgedrückt, ohne sich von Gabler, der ihn mehrmals unterbrechen wollte, irritieren zu lassen. Nach Schells Meinung befand Fischer sich in einer Ausnahmesituation, in der man ihn vor sich selber schützen sollte. Das sei jedoch nicht möglich, da er sich jedem Kontakt entziehe. Zum Beweis wählte Schell Fischers Handynummer. Obwohl es klingelte, ging niemand dran, und die Mailbox schaltete sich ein. Das, meinte Schell, passiere die ganze Zeit. Neidhard Moll erklärte, es erschiene ihm sehr seltsam, wenn Fischer keinen triftigen Grund hätte, sich mit dem alten Fall zu beschäftigen, noch dazu in einer Phase, in der die Männer, die beinah seine Lebensgefährtin getötet hatten, endlich gefasst seien und vernommen würden. Fischer sei wegen Ann-Kristin komplett neben der Spur, sagte Schell. Als er Liz fragte, wann sie das letzte Mal etwas von Fischer gehört habe, antwortete sie: »Gestern.« Mehr sagte sie nicht. Gabler sah sie eindringlich an und schien auf eine Stellungnahme von ihr zu warten. Sie war nicht weniger erbost als ihr Kollege und überlegte, wie sie Fischers Spur finden, wie sie in seine Nähe gelangen könnte. Sie war gekränkt, weil er nichtnur sämtliche anderen Kollegen, sondern auch sie missachtete und aus seinen Plänen ausschloss. Das war noch nie vorgekommen. Nie zuvor – zumindest nicht, seit sie mit ihm zusammenarbeitete – hatte er sich derart abgekapselt und egoistisch verhalten. Sie hatte ihn immer als stolz und selbstbewusst und gelegentlich als etwas selbstherrlich empfunden, aber nie als egoistisch und ausgrenzend.
Sie hatte Mühe, im Büro zu bleiben, Protokolle zu tippen, Papierkram zu erledigen, weitere Befragungen im Umfeld von Yilmaz und Socka durchzuführen, die inzwischen behaupteten, sie hätten sich nur wichtig machen wollen und in Wirklichkeit mit den Überfällen und dem Mord nicht das Geringste zu tun. Zudem, erklärten ihre Anwälte, seien die Geständnisse unter Druck und in Abwesenheit eines Rechtsbeistandes zustande gekommen und somit wertlos.
Auch deswegen war Micha Schell bleich vor Zorn. Wenn er die offensichtlichen Lügen, die ihm Zeugen oder Verdächtige präsentierten, nicht binnen kurzer Zeit widerlegen konnte, fing er innerlich an zu toben. Er musste dann immer wieder Pausen einlegen, um sich zu beruhigen. Als er gemeinsam mit Feldkirch Gablers Büro verließ, schlug er mit der Faust gegen den Türrahmen und trat, wie ein trotziges Kind, mit der Schuhspitze dagegen.
Er hatte ihr einen Weißwein und einen Grappa spendiert und ihr zweimal Feuer gegeben, weil sie ihm jedes Mal – die Zigarette im gespitzten Mund – das Feuerzeug hingehalten hatte. Sie fragte ihn, warum er sich in dieses Lokal verirrt habe, was sie, wie sie betonte, eine »gelungene Überraschung« fand. Ob er verheiratet sei, wollte sie wissen, und ob er Kinder habe.
Seinen Antworten hörte sie mit einem ergebenen Lächeln zu. Krumbholz brachte die neuen Getränke, und Fischersagte ihm, er solle sie auf seinen Deckel schreiben, da spürte er ihr Bein an seiner Wade. Sie hob ihr Glas und stieß einen geübten Seufzer aus, bevor sie sehr damenhaft einen Schluck trank.
Wie Luisa Krumbholz schätzte auch Fischer Mimi auf Anfang sechzig. Sie hatte gefärbte dunkelblonde Haare und ein von munteren Falten durchzogenes Gesicht. In ihren braunen Augen lag eine stille Traurigkeit, die die Variationen ihres Lächelns, mit denen sie ihr Sprechen und Zuhören begleitete, nicht wettmachten. Sie hatte schmale, von braunen Flecken übersäte Hände und unlackierte Fingernägel und trug keine Ringe. Durch ihre blassblaue Bluse schimmerte ein dunkler BH, die
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