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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Wasser, und das Wasser war kühl. Ich nahm ihre Hand und zog meine Mutter weg von den Männern. Sie kannten schon ihren Namen, den riefen sie ihr hinterher. Sie keuchte und sagte, sie dürfe sich nicht so weit vom Ufer entfernen, sonst schafft sie es nicht mehr zurück. Ich ließ sie los und schwamm weiter und winkte ihr und wollte, dass sie mir folgte. Und sie strampelte und ruderte mit den Armen und kam hinter mir her. Bis zur Mitte des Weihers. Wie tief er war, das kann ich dir nicht sagen, man konnte nicht mehr stehen.
    Ihr grüner, leuchtender Badeanzug, ihre braunen, von der Sonne beschienenen Haare, ihr nasses Gesicht, ihre großen Augen.
    Ich wollte, dass sie bei mir bleibt und nicht bei den Männern.
    Erklär mir, warum hab ich meine Mutter gezwungen, bis in die Mitte des Sees zu schwimmen, obwohl ich genau wusste, dass sie allein nicht mehr zurückkommt? Ich war zwei oder drei Meter von ihr entfernt. Sie streckte den Arm nach mir aus. Plötzlich sah ich, wie sie sich fürchtete. Ich sah ihr Erschrecken, sie strampelte mit den Beinen. Die Männer waren irgendwo anders, zu weit weg, ich weiß nicht mehr, wo sie in diesem Moment waren. Wir waren allein, meine Mutter und ich.«
    Und er dachte, er durfte das nicht erzählen, nicht jetzt, und er konnte nicht aufhören zu erzählen. »Und sie rief meinen Namen. Nur ein einziges Mal. Ihre Stimme war nicht laut. Ihre Stimme war sanft. Ihre Stimme war still, wie manchmal, wenn sie im Schlaf redete und ich neben ihr lag. Ich schaute zu ihr hin, und ich war eingefroren. Alles an mir war aus Eis. Ich sah ihren Mund, an dem die Schokolade eingetrocknet war.
    Dann war sie verschwunden.
    Einmal tauchte sie noch auf, dann nicht mehr. Ihr Kopf. Ihre braunen, besonnten Haare, ihr verschmierter Mund, ihre Augen. Und ich? Was hab ich getan?
    Was hab ich getan, Ann-Kristin? Und niemand, der mir beistand. Und niemand, der mich untertauchte, damit ich verschwinden konnte wie meine Mutter. Und niemand. Und niemand. Und ich ein Niemand. Verzeih mir, dass ich nicht zur Stelle war in der Nacht, verzeih mir, dass ich nicht wachsam genug gewesen bin.«
    Und wie von selbst kamen die vertrauten Worte über seine Lippen. »Zu dir rufe ich, Herr, mein Fels. Wende dich nicht schweigend ab von mir. Denn wolltest du schweigen, würde ich denen gleich, die längst begraben sind. Höre mein lautes Flehen, wenn ich zu dir schreie, wenn ich die Hände zu deinem Allerheiligsten erhebe. Zu dir rufe ich, Herr. Mein Fels …«
    »Du bist nicht schuldig«, sagte eine Stimme von der Tür her, und Fischer hörte sie zuerst nicht. »Du bist nicht schuld am Tod deiner Mutter.«
    Er drehte sich um. Auch Ann-Kristin bewegte langsam den Kopf. Als sie sah, wer da stand, senkte sie mehrmals zur Begrüßung die Lider.
    An der Tür stand Liz Sinkel. Fischer hatte sie nicht hereinkommen hören. »Sprich weiter«, sagte sie leise. »Was ist dann passiert?«
    Liz’ Anwesenheit erschien Fischer wie eine Tür, die sich geöffnet hatte, und durch die er gehen konnte, zurück in die andere Wirklichkeit, die alles verändert hatte, ähnlich jener, in der er gerade von einer Zeit erzählte, die wie eine Erbsünde in ihm war.
    »Einer wurde aufmerksam auf uns«, sagte er, wieder an Ann-Kristin gewandt, und sie hörte ihm wieder zu. »Er schwamm, so schnell er konnte, und tauchte unter und bliebeine Ewigkeit unter Wasser. Er brachte meine Mutter an die Oberfläche und schleppte sie ans Ufer und legte sie ins Gras und beugte sich über sie und drückte seinen Mund auf ihren und massierte ihr Herz und hörte nicht mehr damit auf. Und ich war schuld.«
    In sein Stillsein hinein sagte Liz, leiser als zuvor: »Du bist nicht schuld, P-F, du warst ein Kind, du hattest keine Gedanken.«
    »Doch«, sagte Fischer. Sein Gesicht mit der wuchtigen Nase war schmal und bleich. »Doch, ich hatte Gedanken, ich dachte, ich bin wichtig, ich bin wichtiger als die Männer, kümmer dich um mich! Dabei hat sie sich immer um mich gekümmert, Tag für Tag und in der Nacht. Aber ich dachte: Du musst zu mir kommen, jetzt sofort, mitten im Weiher. So ernst hab ich mich genommen und nur mich gesehen, nur mich allein an diesem Sommertag. Weit und breit kein Haus, kein Telefon. Einer fuhr dann mit dem Fahrrad weg, einer der anderen Männer redete auf mich ein, sie hatten ja nichts begriffen, sie hatten doch nichts gesehen. Ich kniete neben meiner Mutter im Gras, sie hatte die Augen geschlossen, ihr grüner Badeanzug leuchtete grüner als alles Gras, und

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