Totsein verjaehrt nicht
Dinge erzählt, die für ihn weder eine Be- noch eine Entlastung bedeuten könnten, die für eine ausgedachte Geschichte also nicht wichtig wären und die ein wahres Geständnis nicht wahrer machen, um es in meinen Worten auszudrücken. Diese Details bezeugen Jockels visuelle Kapazitäten und Erinnerungsfähigkeiten.
Das Geständnis, das er gegenüber Weißmann machte, entspricht, so heißt es hier, in seiner logischen Konsistenz, seiner Konkretheit, seinen raum-zeitlichen Verschränkungen und den retardierenden und nicht zielführenden Erzählelementen dem früheren Geständnis. Und es zeigt ebenfalls deutlich das Motiv für seine Tat auf, nämlich seine Angst, Scarlett könne ihn verraten, weil er sie sexuell belästigt und vor ihr masturbiert hatte.
Wie gesagt, insgesamt umfasst das Gutachten fast hundertsechzig Seiten, mehr als jedes andere, das ich in meiner Laufbahn in der Hand hatte. Ich hoffe, ich konnte Sie überzeugen und wir einigen uns jetzt auf einen Modus, mit dem wir Ihr Vorgehen während der vergangenen Tage ein für alle Mal aus der Welt schaffen.«
Fischer erwiderte nichts.
»Was denken Sie?«, sagte Linhard.
Warum, dachte Fischer, hatte Eberhard Krumbholz seine Verabredung mit Mimi Oberhaus nicht eingehalten? Sonst hatte er es kaum erwarten können, in der Mittagspause Sex mit ihr zu haben.
»Herr Fischer?«
»Micha Schell hatte eine Beziehung mit Scarletts Mutter. Wussten Sie das?«
Dr. Veit Linhard stand auf, knöpfte sein fliederfarbenes Sakko zu, räusperte sich und ging vor seinem Schreibtisch auf und ab.
»Solche Bemerkungen stehen Ihnen nicht zu, Herr Fischer. Wenn Sie Beschwerde über einen Beamten einreichen wollen, gehen Sie den offiziellen Weg, schreiben Sie einen Brief, belegen Sie Ihre Vermutungen, beweisen Sie Ihre Verdächtigungen.
Ich wertschätze Ihr Engagement, ich finde es bewundernswert, dass Sie den Brief des Schülers zum Anlass genommen haben, sich noch einmal mit einem Fall zu beschäftigen, der seinerzeit für erhebliches Aufsehen und durchaus auch für manche Verstörung in der Öffentlichkeit gesorgt hat. Wir haben uns alle, besonders Ihre Kollegen in der Sonderkommission, allen voran der Kollege Koburg, jeden Tag, ich betone: jeden Tag von Neuem gefragt, ob wir etwas übersehen, ob wir die falschen Spuren verfolgen, ob wir uns im schlimmsten Fall verrannt haben. Sie wissen, das ist möglich, niemand von uns ist unfehlbar.
Ich war, wie Sie wissen, seinerzeit Vizepräsident unter Heckenstaller, er hat mir die Aufgabe übertragen, engsten Kontakt sowohl mit den Kollegen vor Ort als auch mit dem Ministerium zu halten und gegebenenfalls Anregungen und Vorschläge zu unterbreiten, falls es bei der Fahndung zu Komplikationen kommen sollte. Ich war also mit dem Fall bestens vertraut. Deswegen finde ich es beinah ehrenwert von Ihnen, dass Sie nach all den Jahren die Mühe auf sich nehmen, um vielleicht doch noch einen neuen Hinweis zu finden. Obwohl der Täter verurteilt worden ist und die Tat gestanden hat.
Selbstverständlich habe ich auch den Brief des Schülers gelesen, und was er da schreibt, klingt sehr ernsthaft. Übrigens haben wir versucht, mit dem Schüler Kontakt aufzunehmen,aber er ließ über seine Mutter ausrichten, er wolle nur mit Ihnen persönlich sprechen. Eigenwilliger Bursche.
Noch einmal: Lob und Respekt für Ihr leidenschaftliches Bemühen, aber gute Polizeiarbeit sieht anders aus. Und solche Unterstellungen, wie Sie sie vorhin geäußert haben, schmälern eher Ihr Ansehen, das Sie bei mir genießen. Ich muss Ihnen das so offen sagen, weil ich möcht, wie schon betont, dass wir diesen Raum verlassen, ohne dass unschöne Dinge zurückbleiben. Möchten Sie eine Erklärung abgeben?«
»Ich frage mich«, sagte Fischer, während er aufstand und Linhard die Hand gab, »ob ein Polizei- und Justizapparat, der so versagt, uns Ermittlern eine wahrheitsgemäße Arbeit überhaupt ermöglicht und erlaubt oder ob wir in diesem Apparat nicht vielmehr als Handlanger zum Weiterreichen von Schmieröl taugen sollen. Grüß Gott, Herr Präsident.« Er setzte seinen Stetson auf und wandte sich um.
22
»So ernst hab ich mich genommen«
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Fischer am Telefon.
»Du bist verrückt geworden«, sagte Liz Sinkel. »Micha rastet aus, wenn er bloß deinen Namen hört.«
»Mit ihm habe ich später auch noch zu reden.«
»Was? Warum sprichst du so leise?«
»Ich bin im Krankenhaus«, sagte Fischer. »Du musst jemanden für mich
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