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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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befragen.«
    »Das mach ich nicht, ich will meine Arbeit nicht verlieren.«
    »Du verlierst deine Arbeit nicht. Nimm Sigi mit.«
    »Der will seine Arbeit auch nicht verlieren.«
    »Die Befragungen sind notwendig«, sagte Fischer. »Wir sind auf dem richtigen Weg.«
    »Du nicht, wir schon.«
    »Hilf mir, bitte.«
    »Das kann ich nicht, das darf ich nicht.«
    »Das ist die letzte Chance für Jockel Krumbholz.«
    »Wir kriegen alle ein Disziplinarverfahren, von Linhard persönlich unterschrieben.«
    »Das müssen wir riskieren.«
    »Was hast du auf dem Friedhof gemacht?«
    »Hilf mir, Liz«, sagte Fischer.
    Micha Schell, mit dem sie das Büro teilte, kam herein. »Danke für Ihren Rückruf«, sagte Liz in ihr Handy. »Ich meld mich wieder bei Ihnen.«
    »Dienstlich?«, fragte Schell.
    »Ich such eine neue Wohnung«, sagte Liz.
    »Ich wusste ja, sie kann nicht schwimmen. Nur ein wenig, sie konnte sich gradeso über Wasser halten.«
    Er saß auf dem weißen Kunststoffstuhl neben dem Bett, und sie hörte ihm zu. Ihr Zustand hatte sich nicht gebessert, auch nicht verschlechtert. Angeschlossen an die Infusions- und Beatmungsgeräte lag sie im weißen Bett, zugedeckt bis zum Hals. Ihre Augen waren groß und dunkel und auf Fischer gerichtet.
    »Über dreißig Grad«, sagte er und unterdrückte jeden Schmerz in seiner Stimme. »Wir fuhren mit offenem Verdeck, ich sah die Schweißperlen im Dekolleté meiner Mutter. Sie trug ein gelbes Kopftuch, sonnengelb, ich eine kurze Lederhose, ganz speckig, und ein kurzärmeliges Hemd. Schau mich nicht so skeptisch an. Ich hab mich immer ein wenig geschämt in dieser Hose, aber meine Mutter war begeistert, wenn ich so rumlief. Wie ein Bub vom Land. Drunter hatte ich meine Badehose an. Am Weiher dann, in der Nähe von Unterföhring, musste ich mich jedes Mal wegdrehen, wenn meine Mutter sich umzog. Ich hab nie heimlich geschaut. Auch an dem Tag nicht. Es war der 29. August, ich war zehn.«
    Er erzählte ihr zum ersten Mal davon. Er hatte daran gedacht, als er auf dem Bett im Hotelzimmer lag und nach all dem Schreien und der Gewalt und den monströsen Worten, mit denen er Michaela Peters attackiert hatte, eine Stille empfand wie in jenem lang vergangenen Sommer, in dem er für Wochen die Sprache verloren hatte.
    »Sie ging so gern zum Baden, hat aber nie richtig schwimmen gelernt«, sagte er, den Hut wieder auf den Knien, den Kopf erhoben. Er wollte nicht krumm erscheinen.
    »Ich habe schwimmen gelernt. Obwohl ich Angst vorm Wasser hatte, sie nicht. Sie rannte rein und tauchte unter und paddelte mit den Armen und winkte mir zu. Und winkte mir zu. Ich stand am Ufer und staunte.
    An diesem Tag trug sie wieder ihren grünen Badeanzug, ein kräftiges, wundervolles Grün, mit einer roten Rose am Rücken. Den mochte ich am liebsten. Ich weiß noch, dass wir ein Schokoladeneis gegessen haben. Ihr Mund war verschmiert. Die Sonne brannte auf uns herunter. Da waren fünf oder sechs Männer, die gebadet haben. Keine Frauen, musst du wissen. Und sie schwammen alle um meine Mutter herum. Sie war sehr attraktiv.
    Sie arbeitete in einem Bordell, wie du weißt. Ich habs dir erst spät erzählt. Ich habe mich nicht geschämt, es war schwer für mich, darüber zu sprechen. Vielleicht hab ich mich doch geschämt. Nein. Ich weiß es nicht. Du bist immer noch die Einzige, die weiß, dass mein Vater nicht mein leiblicher Vater ist. Ein Freier. Sie verliebten sich ineinander. Der Busfahrer, der deutsche Touristen in den Süden kutschierte.«
    Er hielt inne, weil er glaubte, sie wolle ihm etwas mitteilen. Sie sah ihn nur weiter an, aus ihren dunklen Augen, die vielleicht wegen des weißen Verbands schwarz wirkten. Aber er wusste, sie waren dunkelbraun, wie glänzende Kastanien.
    »Mich haben sie nicht beachtet, die Männer, wozu auch? Meine Mutter wurde gern umschwärmt. Ich hab sie auch umschwärmt. Und mein Vater. Leonhard. Meinen richtigen Vater nannte sie einen Zufallsmann, das hat sie mir anvertraut. Ich hatte einen Zufallsvater und wurde ein Zufallskind. Das hat sie zugegeben, kurz vor ihrem Tod. Und sie hat gelacht dabei und mich an ihre Brust gedrückt und festgehalten. Das hat sie oft getan: mich an sich gedrückt und minutenlang festgehalten. Keine größere Geborgenheit für ein Kind.«
    Wenn er schwieg, wurden ihre Blicke für ihn zu einem Verlies.
    »Und dann bin ich zu ihr hingeschwommen und hab ihre Hand genommen. Die war kalt, sie hatte eine kalte Hand. Siewar seit mindestens einer halben Stunde im

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