Tränen aus Feenstaub
munterten sie auch immer auf, wenn die Tage im Krankenhaus zu trist wurden.
Aber eigentlich hatte sie mit dem Krankenhaus sogar noch Glück gehabt, denn es lag in ihrer Heimatstadt und nur einen Steinwurf von ihrer Schule entfernt. So konnte sie oft sogar die Pausenglocke hören. Und ihre Klassenkameraden schwänzten auch schon mal eine Stunde oder nutzen die Mittagspause, um sie zu besuchen. Dass sie dafür in der Schule kaum mit Strafe rechnen mussten, lag an der Ausnahmesituation, in der sich Pina befand. Die Lehrer hatten nicht das Herz, ihr diese kleine Ablenkung zu nehmen. Daher sahen sie großzügig drüber hinweg, wenn jemand für Pina eine Stunde ausfallen ließ.
Eigentlich hatten sich ihre Freunde sogar regelrecht organisiert. Was bedeutete, dass mindestens einer aus ihrer Klasse am Tag vorbei schaute. Wer es war, oder zu welcher Zeit der Besuch stattfand, unterlag keinem Schema. Das wollten ihre Freunde bewusst vermeiden. Ihr Alltag war sowieso schon eingeschränkt genug. Da sollten wenigstens die Besuche nicht zur Routine werden.
„Was möchtest du heute tun?“, fragte Pinas Mutter ihre Tochter.
Was dem Mädchen spontan einfiel, konnte sie schlecht laut aussprechen und auch nicht machen. Sie wollte hinauslaufen, einen Schneemann bauen oder im Einkaufszentrum durch die Geschäfte schlendern. Sie wollte sich mit Freunden verabreden und ins Kino gehen oder auf die Eisbahn und ein paar Runden Schlittschuh laufen. Alles Wünsche, die sie nicht laut aussprechen konnte, um ihre Mutter nicht noch trauriger zu machen. Darum überlegte sie sich etwas anderes. Etwas, was nach Hoffnung aussah, wo eigentlich keine mehr war.
„Du könntest mich einige englische Vokabeln abfragen!“, lautete daher die Antwort, die Normalität vorgaukeln sollte. „Mal sehen, wie viel ich noch weiß!“
Das war eine glatte Lüge. Im Moment kümmerte es sie herzlich wenig, was mit ihren englischen Vokabeln geschah. Aber für ihre Mutter wollte sie sich wie eine ganz normale sechzehnjährige Gymnasiastin benehmen.
„Englisch also“, lächelte Pinas Mutter und begann damit, unter einem Stapel von Büchern, die auf dem Tisch lagen, nach dem Vokabelheft zu suchen.
Pina behielt derweilen ihren aufgesetzten ausgeglichenen Gesichtsausdruck bei. So war es besser und sie konnte die Illusion von Normalität aufrecht erhalten. Und während ihre Mutter nach dem Heft suchte machte sie einen weiteren Vorschlag, wie man die Zeit nutzen konnte.
„Außerdem fällt mir gerade noch ein, dass Dagmar nächste Woche Geburtstag hat. Was meinst du, könnte ich ihr schenken?“
„Dagmar?“, überlegte Pinas Mutter und zog endlich das gesuchte Heft aus dem Bücherstapel. „Das ist die Kleine mit dem dunklen Bubikopf, nicht wahr?“
Pina nickte. Dagmar war wirklich klein. Einen halben Kopf kleiner als sie selbst, und Pina maß nur eins sechzig. Aber was Dagmar an körperlicher Größe fehlte, machte sie mit einem großen Herzen wett.
Dagmar war die Erste gewesen, die den Mut aufbrachte, Pina nach ihrer Chemotherapie zu besuchen. Sie war auch diejenige, die ihren Klassenkameraden gezeigt hatte, dass man auch mit einer tödlichen Krankheit noch der gleiche Mensch war. Nicht jemand, der Krebs hatte, sondern einfach nur Pina, ihre Klassenkameradin, die manch einer schon aus dem Kindergarten kannte.
Seit die Unsicherheit überwunden war, wie man jetzt mit ihr umgehen sollte, trauten sich ihre Freude auch ihre Trauer, ihre Sympathie und auch ihre Antipathie zu zeigen. Was am Ende für Pina den Ausschlag gab, sich wieder wie ein normaler Mensch zu fühlen und nicht wie eine Krankheit.
„Weißt du, woran ich jedes Mal denken muss, wenn ich dieses Mädchen sehe?“, führte Pinas Mutter das Gespräch weiter.
„Woran denn?“
„An deine Mangazeichnungen“, damit nickte ihre Mutter auf die Wand, die voll mit den selbstgemalten Bildern ihrer Tochter war.
Pina überlegte. Dagmar ein Mangamädchen? Ja! Irgendwie passte das zu ihr! Die kurzen dunklen Haare, die großen Augen in dem zarten Gesicht, die zierliche Figur, das hatte etwas. Ja, Dagmar war wirklich ein Mangamädchen. Und damit war auch schon das passende Geschenk für sie gefunden. Dagmar würde ihren eigenen Mangacharakter bekommen. Ein ganz persönliches Geschenk von Pina entworfen und gezeichnet! Etwas, was Dagmars Erscheinungsbild und ihren Charakter widerspiegelte. Ein einzigartiges Geschenk, nur für sie.
Pina fing gleich damit an einige Ideen zu skizzieren. Die englischen
Weitere Kostenlose Bücher