Tränen aus Gold
Waffe.
Allmählich wurde es still um das Lagerfeuer. Alle lagen schon im Halbschlaf, als von ferne wieder ein Vogelruf erklang. Forsworth riß die Augen auf und lauschte angespannt. Der Ruf wiederholte sich, diesmal noch unheimlicher. Entsetzt sprang Cassandra auf, und als sie unversehens an den Rand des Feuers trat und ihr ein Stück Glut in den Schuh geriet, hüpfte sie vor Schmerzen im Kreis. Ein Rascheln in den Baumwipfeln brachte den jüngsten mit einem markerschütternden Schrei auf die Beine.
»Wölfe!«
Es folgte ein wildes Durcheinander, als die Familie sich in größter Hast auf die Pferde schwang. Ohne auf den richtigen Sitz von Sattel und Zaumzeug zu achten, sprengten die vier auf ihren erschrockenen Rössern, die sich von ihrer Panik hatten anstecken lassen, aus dem Wald. Willkommen oder nicht, sie waren gewillt, Schutz in der Ruine zu suchen, denn auch der mißgelaunteste Quentin war den Klauen eines Wolfes vorzuziehen.
In der Stille, die diesem überraschten Aufbruch folgte, schlug sich Sir Kenneth vergnügt auf die Schenkel. »Noch nie habe ich jemanden so Hals über Kopf das Weite suchen sehen! Die Gäule werden nach einer halben Stunde vor Erschöpfung zusammenbrechen. Ehrlich, wenn Sherbournes Wolfsgeheul noch echter geklungen hätte, dann wären die vor Angst glatt übergeschnappt!«
Maxim grinste breit und ließ die Schar seiner Getreuen aus der Deckung kommen. Sie holten ihre Pferde und folgten nun in gemächlicherem Tempo den vier Flüchtenden.
Etwas später, nachdem sie beobachtet hatten, wie sich die vier der Ruine näherten, ritten Fitch und Spence den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sir Kenneth hatte schon zuvor eine Abteilung Füsiliere gesichtet. Da nun ihr Angriffsziel vor ihnen lag, mußte jemand zurück und die Abteilung heranführen.
Justin, Sherbourne und Dietrich ritten in entgegengesetzter Richtung davon, um vor Tagesanbruch in der nächsten Ortschaft Proviant und alles Nötige für den Angriff auf Kensington Keep zu besorgen. Maxim, Sir Kenneth und Nikolaus griffen zu ihren Waffen und machten sich für den Kampf mit Quentin bereit.
34
Metallisches Klirren durchzog das Tal und näherte sich mit dem Fortschreiten der zweiten Tageshälfte jener Erhebung, auf der Kensington Keep aufragte. Neugierde trieb die Insassen des Turmes auf die Mauerreste, wo sie das umliegende Land in Augenschein nahmen und drei Reiter erblickten, die auf die Ruine zuhielten. Quentin ertrug die Spannung nicht länger. Um seine Laune war es ohnehin nicht gut bestellt, da er durch die Rückkehr seiner Familie um den besten Schlaf gebracht worden war. Diesmal hatten sie sich nicht mehr fortschicken lassen. Leise Verwünschungen hervorstoßend, schwang er sich aufs Ross und ritt der Gruppe der drei entgegen. Bald konnte er feststellen, daß die Geräusche vom letzten der Reiter herkamen, dessen kräftiges Pferd Küchengerät und Werkzeuge aller Art trug. Der Reiter, der die kleine Gruppe anführte, war alt und verrunzelt, sein Haar struppig und sein Rücken gebeugt. Beim Näher kommen sah Quentin, daß der Alte an einem nervösen Zucken litt, das sein rechtes Auge ständig blinzeln ließ. Der zweite Reiter war kräftig und jung, der breite Verband, der über seinen Augen lag, machte es jedoch erforderlich, daß sein Pferd von dem Greis geführt wurde.
»Einen schönen guten Tag!« rief der Alte Quentin entgegen.
»Was führt euch hierher?« fragte Quentin unwirsch. Daß diese Jammergestalten etwas mit Maxim zu tun hatten, war zwar nicht anzunehmen, dennoch war Wachsamkeit angebracht. Wer konnte wissen, ob es nicht Diebe waren, die mit sich gehen ließen, was ihnen zwischen die Finger kam?
Der Alte hob die Schultern. »Wir sind nur auf der Durchreise. Das ist doch erlaubt, oder?«
»Ihr reitet vorüber? Ihr wollt hier nicht anhalten?« Quentin blieb mißtrauisch.
»Wüsste nicht, warum«, gab der Alte zurück.
»Wer seid ihr? Woher kommt ihr?«
»Nun, das ist mein Enkelsohn.« Der Alte deutete auf den direkt hinter ihm Reitenden. »Der Ärmste wurde bei einem Händel mit einem verdammten Iren geblendet.« Der Greis hob den Kopf und heftete seinen Blick auf den dritten: »Und das ist mein Neffe Deat.« Er tippte mit dem Finger an den Kopf. »Nicht ganz richtig hier. Sprechen kann er nicht, dafür aber kann er kochen.«
»Er kann kochen?« Mittlerweile war auch Quentin klar geworden, daß es um ihre Verpflegung schlecht bestellt war. »Sucht er etwa Arbeit?«
»Nun ja, könnte schon sein…
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