Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
weil sie es Ihnen, allen
Geisterkriegern zusammen, widmen möchten.«
Er atmete schwer. Sein Innerstes
war zum Bersten angespannt. Hilflos strich er sich mit beiden Händen die Haare
aus der Stirn und presste seine Arme im Nacken zusammen, so dass seine
Ellenbogen sein Gesicht verbargen. Hin- und hergerissen, wusste er nicht, was er
überhaupt noch von seinem Leben wollte.
Schließlich stieß er einen
frustrieten Laut aus. Dann sprang er auf. Der Stuhl kippte nach hinten. Er ließ
ihn liegen und stürmte wie von einem Geist verfolgt aus dem Zimmer. Milton
spürte seine innere Zerrissenheit. Seufzend erhob er sich aus seinem Sessel und
mit einem entschuldigenden Blick in Richtung Malee öffnete er die Tür und folgte
ihm. Auf den Stufen, die zum Strand führten, blieb Milton stehen und beobachtete
schweigend die einsame Gestalt unten am Strandufer.
Sébastien wanderte barfuß, mit
aufgerollten Hosenbeinen am Meeresufer entlang. Die auslaufenden Wellen
umspülten ihn mit einem weißen Schaumteppich. Ein grüner, noch warmer
Algenstrang blieb an seinem Bein hängen und verfing sich in den goldbraunen
Härchen seiner Wade.
Er schien es nicht zu bemerken.
Ab und zu blieb er stehen, sammelte einen der schimmernden Kristallsteine auf
und schmiss ihn mit einer ausholenden Bewegung und einem animalischen Schrei
weit in den Ozean hinein.
Aufseufzend ging Milton die
Treppenstufen herunter und lief auf ihn zu.
»Mein Sohn! Es wird langsam Zeit,
dass du Amaru und das, was sie dir angetan hat, vergisst und ihr vergibst. Weißt
du, Vergebung ist keine Schwäche, sie ist eine Tugend. Du musst diese Grenze
überschreiten, die das Leben dir bietet. Auch wenn Amaru dich enttäuscht hat.
Gib Nahla eine Chance. Sie liebt dich abgöttisch. Jeder von uns hat das gespürt.
Sogar Calda. Wirf das nicht einfach so weg, Sébastien. Einer Liebe zu begegnen,
die man nicht gesucht hat, ist einzigartig und wird nur ganz wenigen Menschen
auf der Welt zuteil. Nimm meinen Ratschlag an und öffne dein Herz wieder. Weißt
du, ohne eine Gefährtin kann das Leben verdammt einsam sein. Ich weiß, wovon ich
spreche. Bevor ich Mahu kennengelernt habe, war ich alleine und einsamer, als es
je ein Mensch sein konnte. Erst durch Mahus Liebe und ihre Bindung an mich, weiß
ich endlich, was Liebe wirklich bedeutet.«
Das Schweigen, das seinen Worten
folgte, dauerte lange. Wurde nur durch das sanfte Rauschen der Brandung
unterbrochen. Schließlich blieb Milton stehen und hielt ihn an seinem Arm
fest.
»Sébastien! Eine tiefe Bindung
entsteht, wenn man es ganz tief in sich fühlt. Und das nennt man dann Liebe. Man
muss nur den Mut haben sich darauf einzulassen – und das liegt jetzt ganz
alleine bei dir, mein Sohn.«
Mit einem gütigen und
verstehenden Blick betrachtete er Sébastiens Qual, die sich in seinem Gesicht
widerspiegelte. Doch nur er alleine konnte die Barriere, sie er um sein Herz
errichtet hatte, wieder einreißen. Langsam drehte Milton sich um und machte sich
an den Aufstieg.
»Merde alors. Oh Fuck …«
Gepeinigt starrte Sébastien dem weißhaarigen alten Mann, der immer sein Vorbild
gewesen war, hinterher. Aber in diesem Punkt wollte er nicht, dass Milton recht
hatte. Zeitgleich spürte er nun das Gegenteil. Er wusste, dass er endlich lernen
musste, die Vergangenheit loszulassen und den Schmerz endgültig zu begraben.
Aber es fiel ihm so unendlich schwer. Und doch begehrte und liebte er diese Frau
wie keine andere zuvor.
Liebe? Oh merde! Hatte er eben
tatsächlich an Liebe gedacht?
Verwirrt starrte er auf den
endlosen Horizont. Er hasste es, solche Gefühle zuzulassen. Das machte einen
Mann verletzlich und das wollte er niemals wieder sein.
Wütend nahm er eine große Muschel
auf und schmiss sie mit der voller Wucht seiner aufgestauten Gefühle in die weit
entfernt stehende Palme.
Eine große, haarige Kokosnuss
löste sich zwischen den Palmwedeln, rollte herunter und fiel auf den herrenlosen
Hund, der im Schatten am Boden schlief.
Empört jaulte dieser auf und
sprang aufgeschreckt auf seine vier krummen Beinchen. Dann zog er seinen Schwanz
ein und lief verschreckt durch die Dünen davon.
Loy Krathong
D ie Einheimischen standen wie
eine bunte Perlenkette in ihren festlichen, goldbestickten Kleidern am Strand
und bedankten sich bei allen Geisterkriegern. Jeder einzelne von ihnen ließ es
sich nicht nehmen und schüttelte Milton und seinem Team persönlich die Hand.
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