Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
ihr ausdruckslos
dabei zu. Dann hatte er genug von ihrem Spielchen und schob sie zum Ausgang.
»Gib dir keine Mühe, Herzchen. Ich bin gegen deine hypnotischen Blicke immun.«
»Ich werde dir helfen«, rief
Sébastien und ging ihnen nach. In einem abgelegenen, ummauerten Teil des Gartens
waren sie vor fremden Blicken geschützt. Dort banden sie die Vila an den
knorrigen Stamm eines alten Baumes an und warteten.
»Warum ist Varunee immer noch
menschlich, das ist das Einzige, was ich nicht verstehe«, fragte Sébastien mit
einem Blick auf ihre silbrigdurchsichtige Haut, die hier in der heißen Sonne
noch entsetzlicher stank.
Jai massierte sich seine
verspannten Nackenmuskeln. Langsam bewegte er seinen Kopf nach rechts und links.
Ein paar Minuten und Kopfdrehungen später renkte sich sein eingeklemmter Wirbel
mit einem leisen Knacken ein. Befriedigt hob er den Kopf.
»Sie ist noch im Vorstadium,
nehme ich an. Ihre Haut fing ja schon an sich zu verwandeln. Ist nur keinem von
uns aufgefallen, durch ihre Kleidung. Ich nehme an, es hätte jetzt nicht mehr
lange gedauert, bis ihre Verwandlung ganz abgeschlossen wäre. Und dann wäre sie
uns auf immer entkommen und hätte weitergemordet. Aber sag mir lieber, Bruder,
wie bist du darauf gekommen, dass es zwei unterschiedliche Personen waren, die
diese Taten begangen haben?«
Ein wehmütiges Lächeln spiegelte
sich um Sébastiens Mundwinkel. Er sah ihre veilchenblauen Augen vor sich, als
sie ihm ihre Seele schenkte und er in diesem Moment dank ihrer Vision, die volle
Wahrheit erkannte.
»Irgendwie habe ich
unterschwellig von Anfang an gewusst, dass es zwei unterschiedliche Täter sein
mussten. Denn die Legende war so nicht beschrieben. Es gab so viele Punkte, die
einfach nicht zusammenpassten. Doch erst durch Nahlas Gedanken wurde meine Gabe
wiederbelebt und danach konnte ich meine telepathischen Kräfte endlich wieder
bündeln. Danach waren meine Visionen wieder ganz klar und so habe ich die Mörder
erkannt.«
Tzzzz…
»Fuck … Was zum Teufel ist das
für ein Geräusch?« Erschrocken zuckten beide zusammen und drehte sich
gleichzeitig um. Die Vila fing an, glasig zu werden, und die zischende Geräusche
kamen eindeutig von ihr. Ihr Mund blies sich krampfartig aus, wie ein Fisch, der
an der Angel hing und dessen Kiemen sich krampfartig zusammenzogen.
Wieder ein Tzzzz…
Das unangenehme Zischen hallte in
Sébastiens empfindlichen Ohren. Dann endlich gab sie ein letztes ächzendes
Geräusch von sich und der Körper der Vila löste sich auf. Zurück blieb nur eine
kleine Wasserlache in der Grasnabe um den Baumstamm herum - dort wo sie
gestanden hatte. Es war vorbei. Der Fluch war besiegt.
»Gut«, sagte Sebastién
erleichtert und begab sich in Malees Büro. »Jetzt können Sie die Polizei
rufen.«
****
Ungerührt hielt Sébastien ihrem
hasserfüllten Blick stand, als der Polizist ihr die Handschellen anlegte. Mit
verschränkten Armen stand er neben dem Wagen und sah mitleidslos zu, wie der
Beamte ihren Kopf umfasste, um sie in das Polizeiauto zu verfrachten.
Varunee Tongproh würde nicht so
leicht davonkommen und sich in Wasser auflösen. Nein, sie würde sich für ihre
grauenvollen und sinnlosen Taten vor einem weltlichen Gericht verantworten
müssen. Was ihr und ihrem Baby von ihrem betrunkenen Mann angetan wurde, war
erschütternd und ohne Worte. Doch niemand auf der Welt hatte das Recht Gleiches
mit Gleichem zu vergelten.
Mit ihren Taten hatte sie sich
mit ihrem mörderischen Mann auf eine Stufe gestellt und somit Sébastiens Mitleid
verwirkt. Doch das war nicht mehr seine Aufgabe. Ein weltliches Gericht würde
sich um sie kümmern. Auf Kindestötung stand in Thailand immer noch die
Höchststrafe. Ungerührt erwiderte er beim Abfahren noch einmal ihren kalten
Blick.
****
Danach ging er durch den
Gartentrakt zu seinem Pavillon und begann zu packen. Trotz der nachmittäglichen
Hitze fühlte er in seinem Innersten einen Kälteschauer.
Verzweifelt grub er die Hände in
die Taschen seiner schwarzen Jeans und blickte einsam aus dem Fenster auf den
schneeweißen Puderzuckerstrand.
Tugend und Schwäche
D er Deckenventilator surrte
leise und vermischte die warme Abendluft mit der tropischen Meeresbrise, die vom
Strand herauf wehte. Unter halbgeöffneten Augen verfolgte Sébastien die
Bewegungen der rotierenden Lamellenblätter. Mit verschränkten Armen unter seinen
Kopf lag er
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