Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
dann
würde er sie frei lassen und sie nicht an ihr nächtliches Versprechen binden.
Ein gequältes Lachen entrang sich
seiner Brust, während er den Brief öffnete. Sie war wenigstens so anständig
gewesen, ihn in seiner Muttersprache zu schreiben.
Nahla hatte tatsächliche viele
Talente. Desillusioniert strich er sich die Haare aus dem Gesicht. Mit fahrigen
Fingern öffnete er den Umschlag und las ihre Worte:
Mon cher,
ce que tu aimes, laisse-le libre. S'il te revient, alors il
t'appartient.
S'il ne te revient pas, il ne t'a jamais appartenu.
Je t’aime, Nahla
Was zum Teufel wollte sie ihm
damit sagen?
Tal des Erwachens
N ahla stand an den Klippen
des tosenden Wasserfalles und sah in die Tiefe. Sie atmete schwer. Jenseits der
geisterhaften Gefilde der Logik hoffte sie, dass Sébastien sich selber und sein
Leben, ihr gemeinsames Leben fand. Denn ihr eigenes Leben lag in seinen Händen,
er wusste es nur nicht.
Frierend stand sie am Abgrund und
blickte in die Strömung hinunter. Sie hatte Sébastien nicht die ganze Wahrheit
erzählt, um ihn in seiner Gefühlswelt nicht noch mehr zu verunsichern. Doch ihr
Vater hatte sie mir seinen Abschiedsworten wieder daran erinnert.
Wenn eine Tempel-Priesterin ihre
Unschuld aufgab, legte sie ihre Seele damit unwiderruflich in die Hände des von
ihr gewählten Mannes. Und nur wenn dieser Mann sie auf die gleiche, selbstlose
Art liebte, nur dann verbanden sich ihre Lebenslinien für immer miteinander.
Nur sein reines Bekenntnis ließ
sie am Leben bleiben. Wenn er ihr ihre Unschuld und ihre Seele jedoch nur
genommen hatte, um egoistisch seinen Selbstwert zu stärken, dann würde sie nicht
mehr aus dem tosenden Wasserfall auftauchen und sterben. So lauteten die Regeln
des heiligen Naga-Volkes.
Nur wenn der Mann sie aus reinem
Herzen und ohne Besitzansprüche liebte, dann erwachte eine Tempelpriesterin zum
ewigen Leben und ihr wahres Gesichts-Iban würde sich zeigen.
Das heilige Wasser des
Wasserfalls und Sébastiens Herz entschieden ab jetzt über ihr Schicksal.
****
Sprachlos las Sébastien wieder
und wieder ihre Zeilen. Dann sprang er mit einem Mal aus dem Bett. Nackt rannte
er heraus auf die Holzterrasse.
Seine Lungen füllten sich mit
neuer Kraft, als sein animalischer Schrei kraftvoll die Brandung des
aufgewühlten Meeres übertönte.
»Nahla! Ich liebe dich … Ich
liebe dich! Mit der ganzen Kraft meines Herzens und meiner Seele. Bitte komm
zurück!«
****
Der Regen hörte auf. Eine
kristalline Frische lag in der Luft. Es roch nach all den Blumen, die durstig
den Regen aufgesaugt hatten und jetzt in ihrer vollen Pracht ihre Blätter
entrollten.
Die Sonne brach durch die
wegziehenden Wolken und strahlte mitten in Nahlas Gesicht. Tief atmete sie den
Geruch des Jasminstrauches ein.
Als Sébastiens Schrei über die
Insel hallte und sich mit dem lockenden Paarungsruf des Nashornvogels nach
seinem Weibchen verband, breitete Nahla ihre Arme aus.
Dann sprang sie in die Tiefe.
****
Sébastien hörte ein Geräusch an
der Tür und blickte verunsichert auf. Nahla stand auf der Holzterrasse – nackt
wie Gott sie schuf. Anmutig schüttelte sie ihre langen Haare und wrang sie aus.
Offenbar war sie im Meer schwimmen gewesen. Atemlos beobachtete Sebastién ihre
karamellfarbene Haut, an der die Wassertropfen abperlten.
Sinnlich lächelnd betrat sie das
Zimmer, kam barfuß auf ihn zu. Als sie das Bett erreichte und vor ihm stand,
fingen seine braunen Augen ihren veilchenblauen Blick auf. Sie sah ihn an, als
wollte sie auf den Grund seiner Seele blicken. Sébastien atmete heftig aus.
Und mit jedem weiteren Atemzug,
der seinen Lungen entwich, verschwand die schmerzvolle Umklammerung seines jetzt
erleichterten Herzens ein wenig mehr. Unterdessen ergriff Nahla seine Hand und
verschlang ihre Finger mit seinen. Gleichzeitig zog sie provozierend langsam das
Seidenlaken von ihm, sodass seine pulsierende Männlichkeit, die er immer in
ihrer Gegenwart verspürte, ihren Blicken schutzlos ausgesetzt war.
Erregend strich sie mit ihren
Fingern über seine Brust. Dann legte sich mit ihrem grazilen Körper auf ihn.
Sébastien keuchte auf. Stöhnend umarmte er sie und zog sie eng an seinen
zitternden Körper.
Langsam beugte sie sich weiter
vor. Doch bevor ihre Lippen seinen Mund berührten, hielt er sie fest.
Vorsichtig, als wäre sie zerbrechlich, nahm er ihr Gesicht in seine Hände und
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