Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
sackte er wie ein nasser Sack zusammen und sank auf den
Fußboden, bevor sie die Tür aufschließen konnte.
Mit einem Aufstöhnen ließ sie
sich neben ihm niedergleiten und betrachtete ihn mitleidig. Angestrengt
überlegte sie, wie sie ihren Ratschlag nett formulieren sollte. Ihre sonst so
frechen und anzüglichen Sprüche schienen ihr in dieser Situation zum ersten Mal
nicht ganz so passend.
»Sébastien. Ich weiß nicht, was
zwischen euch beiden vorgefallen ist. Das geht mich auch gar nichts an. Doch
egal was es war: Du solltest nicht mit deinem Kopf darüber nachdenken und auch
nicht mit deinem Schwanz. Entscheide dich mit deinem Herzen, sowie es uns unsere
schamanischen Vorväter seit Anbeginn gelehrt haben.«
Schmerzverzerrt schloss Sébastien
die Augen. Nur am leichten Drücken seiner Hand auf ihrem Arm bemerkte Calda,
dass er ihre Worte anscheinend verstanden hatte. Schwerfällig rappelte sie sich
aus ihrer sitzenden Position am Boden auf und warf noch einen letzten
sehnsüchtigen Blick auf seinen gepeinigten und trotzdem so männlichen Körper.
Dann drehte sie sich mit einem
leisen Seufzen um und lief die Verandatreppe hinunter. Sie wusste, dass er Zeit
brauchte, um mit der Situation umzugehen.
Und nur er alleine konnte die
Dämonen seiner Vergangenheit besiegen.
****
Nachdem Calda ihn verlassen
hatte, lag Sébastien noch lange auf den Holzplanken der Terrasse. Mittlerweile
hatte er jedes Gefühl für Zeit verloren. Ein gepeinigtes, kehliges Stöhnen
entrang sich seiner Brust. Verloren öffnete er seine Augen.
Und in diesem einen Moment
begriff er, dass er Nahla aus der Tiefe seiner Seele und mit seinem ganzen
Herzen liebte. Unwiderruflich - und unauslöschlich. Es war einfach geschehen und
er war machtlos gegen die überwältigen Gefühle, die ihn jetzt überschwemmtem.
Aber Nahla hatte anscheinend
beschlossen, dass seine Gefühle für sie von letzter Nacht nicht ausreichend
gewesen waren. Darum hatte sie ihn verlassen. Verzweifelt versuchte er ein
Aufschluchzen seines gepeinigten Herzens zu unterdrücken. Mit wackeligen Beinen
stand er auf und schleppte sich ins Bett zurück.
Als er sich darauf sinken ließ
und sein Kopf trostlos auf das Kopfkissen fiel, hörte er etwas neben seinem Ohr
knistern. Er streifte das Laken von sich und sah erstaunt auf. Dann beugte er
seinen nackten Körper vor und tastete mit seiner Hand auf den leeren Platz neben
sich, bis er unter ihrem Kopfkissen etwas fühlte.
Mit zusammengebissenen Zähnen
nahm er den Briefumschlag in seine zitternden Hände. Das war es dann wohl,
dachte er resigniert. Ihre endgültigen Abschiedszeilen.
»Merde, merde, merde -«,
flüsterte er erschüttert in die Leere des Zimmers. »Alles meine Schuld, weil ich
es ihr nicht sagen konnte. Oh Gott -.« Sebastien ließ seinen Tränen freien Lauf,
schämte sich nicht dafür.
Jetzt hatte er unwiderruflich
alles verloren. Nicht nur seine Selbstachtung, sondern das kostbare Geschenk:
Nahlas Liebe zu ihm. Der Schmerz, der jetzt sein Innerstes rasiermesserartig
durchschnitt, war nichts im Vergleich zu damals, als seine Frau Amaru ihn
verlassen hatte. Nein, dieser Schmerz durchbohrte seine Eingeweide, nahm ihm die
Kraft zum Atmen und durchtrennte seine Lebensader.
Jetzt, da der undurchdringbare
Schutzwall, den er um sich herum errichtet hatte, eingestürzt war, lag dahinter
sein blutendes Herz.
Wahrscheinlich hatte Nahla doch
Angst bekommen, sich auf ihn und seine verletzte Seele einzulassen. Unfähig, den
Brief zu öffnen, sank er zurück, lehnte den Kopf an das Bettende und starrte mit
leeren Augen durch die tödliche Stille hindurch aus dem Fenster, auf den immer
noch menschenleeren Strand. Irgendwann erwachte er aus seinem stumpfen Schmerz
und spürte die Macht seiner aufgestauten Gefühle unaufhaltsam und in großen
Schritten in sein Herz einströmen. Und nach jahrhundertelanger Einsamkeit ließ
er es endlich zu und ergab sich.
Er verspürte Nahla gegenüber
nicht den Hass, den er bei Amaru gefühlt hatte, denn sie war niemals seine echte
Seelengefährtin gewesen, das erkannte er jetzt. Seine Gefährtin, auch wenn sie
ihn nicht mehr wollte, das war seine geliebte Nahla.
Er würde sie immer lieben. Auch
wenn ein anderer Mann ihr irgendwann das geben würde, wozu er selber nicht in
der Lage war, dann wünschte er ihr alles Glück auf der Welt. Niemals würde er
Nahla zwingen, zu ihm zurückzukommen. Wenn es das war, was sie wollte,
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