Traeum weiter, Mann
du?«, keucht Deuters.
Gerald baut sich wütend vor ihm auf. Wie vor ein paar Tagen an der wackligen Treppe in den Abgrund der Steilküste.
»Lass die Finger von Steff«, fordert er mit gebieterischem Ton.
Nichts passiert.
Keine ängstlichen Kaninchenaugen, kein Opferblick.
Auch kein Trotz.
Viel schlimmer.
»Wir leben in einem freien Land«, erklärt Deuters ganz ruhig, mit höhnischem Blick.
»Hör mal zu, du Sackgesicht«, brüllt Gerald. »Du hast keine Chance bei Steff, kapier das mal.«
Was Deuters wenig beeindruckt.
»Warum kam sie eigentlich alleine zurück aus Kopenhagen?«
»Das war rein geschäftlich.«
Deuters lächelt süffisant. »Verstehe.«
Gerald würde ihm gerne eine aufs Maul hauen. Aber er spürt den Alkohol, es war etwas zu viel, das hat er schon bei der Herfahrt im Landrover gemerkt. Eine Schlägerei in diesem Zustand würde nur ausarten, das sollte er vermeiden. Außerdem wartet Steff um die Ecke, die das gegen ihn werten würde.
»Ich hab dich gewarnt, Meister: Hände weg von Steff!«
Deuters lacht. »Meister?«
Gerald ist vollkommen hilflos. »Willst du eine auf die Fresse, oder was?«
Deuters lacht umso mehr. Der will es wirklich wissen! Gerald ballt die Faust.
In diesem Moment schießt Steff um die Ecke.
»Was macht ihr denn hier?«, fragt sie besorgt.
Beide schweigen, keiner will sich eine Blöße geben.
»Raus mit der Sprache! Was ist hier los?«, fragt sie erneut.
»Es geht um ... Geld«, stöhnt Deuters spontan.
Es kommt total überzeugend. Gerald überlegt kurz, was er jetzt tun soll. Das Einfachste ist mitzuspielen.
»Ja«, bestätigt Gerald hastig.
»Geld?«, wiederholt Steff ungläubig.
»Gerald hat sich 100 Euro geliehen«, lügt Deuters geistesgegenwärtig. »Das ist nicht viel, aber ich möchte es wieder haben.«
Gerald starrt Deuters vollkommen verdattert an, so viel komisches Talent hat er ihm gar nicht zugetraut.
»Sorry, hatte ich ganz vergessen«, murmelt er.
Gerald zückt sein Portemonnaie und zählt dem lächelnden Deuters fünf Zwanziger in die Hand. Die Hundert kommen noch zu der Summe in Kopenhagen dazu. Absurd. Aber wenn Gerald daran denkt, was er manchmal investiert, um ein einziges Haus zu verkaufen, sind das dagegen Peanuts. Und eine Beziehung ist ja wohl wertvoller als eine Immobilie! Mal abgesehen davon, dass er sich den Hunderter von Deuters später natürlich wiederholen wird!
»Komm doch mit rein«, sagt Steff zu Gerald. »Heiner liest uns gerade etwas aus seinen Werken vor.«
Deuters schaut Steff entsetzt an, wie Gerald voller Freude feststellt. Die Einladung trifft ihn so schmerzhaft wie ein Faustschlag.
»Gerne«, freut sich Gerald und geht mit Deuters und Steff ins Haus.
Dort warten die Frauen in einem Wohnzimmer, das aussieht wie aus dem IKEA-Katalog.
»Das ist Gerald Schöning«, stellt Steff ihren Pensionsgast vor.
»Bist du auch Schriftsteller?«, fragt Olga, die Freundin von Steff und schüttelt albernerweise ihre langen blonden Haare kopfüber aus. Als sie wieder hochkommt, sieht man, dass ihr dunkler Lippenstift in den Mundwinkeln etwas verwischt ist.
»Nein«, antwortet Deuters für ihn.
Gerald nimmt sich vor, auch das Herz von Olga zu erobern. Es wird ihm nützen, eine Fürsprecherin aus dem Umkreis von Steff zu haben. Das denkt er allerdings nur so lange, bis er die Marionetten entdeckt. Eine Frau, die sich drei traurige Clowns mit Harlekin-Umhängen ans Billy-Regal hängt, geht gar nicht!
»Sag mal, bist du nicht der Maklerbonze aus diesem kleinen Kaff, wie heißt das noch?«, fragt eine der Frauen. Sie trägt eine modische Designerbrille und ein Kleid mit einem großen Ausschnitt über ihrem kleinen Busen. Jetzt fällt es Gerald wieder ein, sie kam ihm gleich bekannt vor. Er hat sie öfter auf dem kleinen Markt in Lütjenburg gesehen, wo sie gefilzte Hüte und selbst gefertigte Steinfiguren verkauft.
»Genau der!«, antwortet Gerald trotzig.
Ihm fällt sogar ihr Name ein, Henrike Petersen-Sagromsky, ihr Mann ist Produktmanager bei einer Pharmafirma in Lübeck. Gerald will keine Punkte bei frustrierten Reiche-Männer-Gattinnen sammeln, sondern Steff überzeugen. Und trotz seines einigermaßen betrunkenen Kopfes weiß er, dass alles wie von selbst laufen wird: Deuters fühlt sich in seiner Anwesenheit so unwohl, dass er scheitern wird. Doch er hat den Hass von Henrike Petersen-Sagromsky auf »Maklerschweine« wie ihn unterschätzt.
»Jeder muss hier erst selber etwas vortragen, wenn er mitmachen will«,
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