Traeum weiter, Mann
einige Besorgungen nach Oldenburg gefahren ist.
Und das Allertollste: Dieser widerliche Schöning ist endlich weg! Heiner wollte am liebsten tanzen, als sein vulgäres Riesenauto vom Hof rollte.
Er kann es immer noch kaum glauben, dass der Kerl extra bis nach Hamburg gefahren ist, um Fotos von seiner Familie zu machen. Er bekommt eine Gänsehaut, als er sich vorstellt, wie das Schwein in seinem Garten zwischen den Büschen herumgekrochen sein muss, um in sein Haus, sein Heim zu blicken. Was für ein düsterer Hass muss in seinem aufgequollenen Körper stecken, um so etwas zu tun? Die lange Fahrt, die vielen Kilometer, alles nur, um ihn vor Steff bloßzustellen!
Heiner lächelt zufrieden in sich hinein, als er an Schönings Handy-Auftritt denkt. Das hat der Kerl jetzt davon. Er musste das Hotel verlassen, wurde wie ein Hund vor die Tür gesetzt, während Heiner jetzt alleine bleiben darf, endlich ungestört in Steffs Nähe.
Ja, selber schuld, wenn man zu schlau sein will ...
Apropos Steff. Wo steckt sie eigentlich? Vor einer Stunde hat sie mit nachdenklicher Miene die Pension verlassen, ohne sich von ihm zu verabschieden. Dabei hätte er mit ihr nach dem Triumph über Schöning am liebsten mit Champagner angestoßen.
Aber egal. So hat er endlich mal wieder Zeit für sich. Das Hotel ist wie ausgestorben. Die anderen Gäste sind abgereist oder spazieren. Keiner da, der ihn stören könnte. Endlich kann er wieder an seinem Buch arbeiten.
Der seltsame Franzose .
Als Heiner vorhin seinen Rechner hochfuhr und das Dokument nach längerer Zeit mal wieder öffnete, war es wie das Wiedersehen mit einem alten Freund. Heiner hat das Gefühl, dass er gerade vor lauter Kreativität platzen könnte.
Trotzdem oder vielleicht sogar deswegen hat er noch nicht zurück in seine Geschichte gefunden. Auch wenn er schon eine sehr gute Idee hatte, ist er noch in der Findungsphase. Wie ein Leichtathlet, der lange trainiert, um dann im richtigen Moment voll da zu sein, braucht auch er noch ein bisschen Zeit, um in den entscheidenden Sekunden mit einem Geniestreich zu überzeugen.
Heiner gefällt dieses Bild. Er beschließt, es irgendwo in sein Buch einzubauen.
Das Problem ist immer noch die Exposition. In Heiners Kopf schwirren zahllose brillante, witzige Bilder herum, dazu Dialogsätze, die in ihrer Genialität manchmal an Hemingway, Paul Auster oder Philip Roth erinnern. Auch die Figurenkonstellation ist im Großen und Ganzen fertig. Darauf ist Heiner besonders stolz: Als Freund großer Ensembles hat er sich ein kunstvolles Geflecht von rund dreißig Charakteren ausgedacht, einer interessanter und zwingender als der andere.
Und in der Mitte seine Hauptfigur: Der seltsame Franzose.
Wenn Heiner die Augen schließt, kann er schon sehen, wie der Verlag in naher Zukunft sein Buch ankündigen wird. Riesige Plakate über dem Hamburger Hauptbahnhof oder am Potsdamer Platz. Städte voller Citylight-Schilder mit seinem leuchtenden Konterfei.
Dann wird er Steff überreden, ihn auf seine Lesereise zu begleiten. Zuerst natürlich nach Berlin. Überfüllte Szenecafés in Mitte, ein ausverkauftes Kulturkaufhaus an der Friedrichstraße, ein Meer von interessierten Zuhörern, die ihm jedes Wort von den Lippen ablesen.
Und vorne in der ersten Reihe Steff. Immer wieder wird er kurz von seinem Buch aufschauen und ihr ein charmantes Lächeln zuwerfen. Steff wird verträumt zurückblicken, dabei ihre blonden Haare aus dem Gesicht streichen und Zeugin seines Triumphes sein.
Anschließend werden sie in eines dieser netten kleinen Restaurants bei den Hackeschen Höfen gehen. Übernachten werden sie in diesem schicken neuen Hotel in der Friedrichstraße, dessen Bild er neulich im Internet gesehen hat. Wie selbstverständlich wird Heiner dort ein Doppelzimmer für sie beide buchen. Und ob er nun verheiratet ist oder nicht – schließlich wird er sie dort, über den Dächern der in der Nacht funkelnden Hauptstadt, lieben, ausdauernd, immer wieder, bis sie vor Glück japsend um eine kleine Pause flehen wird.
Ein leises Klacken an der Tür holt Heiner aus der Zukunft zurück in die Gegenwart. Er streckt den Hals und sieht zur Rezeption. Steff ist wieder da. Vorsichtig, als wenn sie Angst hat, von irgendwem gesehen zu werden, schleicht sie durch die Pension.
Ihn hat sie noch nicht erblickt. Stattdessen versucht sie, heimlich in den privaten Bereich zu huschen, der sich hinter einer Tür neben dem Eingang zum Wintergarten befindet.
»Hallo, Steff«,
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