Traeum weiter, Mann
Whirlpool
Gerald patscht einmal kräftig mit der flachen Hand auf den messingfarbenen Klingelknopf auf dem Tresen der Rezeption.
»Zahlen, bitte!«, ruft er mit rauer Stimme durch die halb geöffnete Tür hinter dem Tresen. Nichts regt sich. Er nimmt sich einen Sahnebonbon aus der Schale, die auf der Theke steht, und kaut angespannt auf der zähen Masse herum. Nebenbei blättert er in den ausliegenden Prospekten über die Attraktionen der näheren und etwas weiteren Umgebung, als würde ihn als Einheimischen das interessieren: die malerische Steilküste, das U-Boot in Laboe und der Hansa-Park in Sierksdorf mit seinen Achterbahnen ... Er haut noch einmal auf die Glocke und streicht über die Sammelbüchse des Seenotrettungsdienstes, während er an der braun getäfelten Wand das gemalte Bild des Windjammers im Sturm ein letztes Mal anschaut. In wenigen Minuten ist er hier weg, und das Segelschiff wird ihm genauso fehlen wie die ausgestopfte Möwe über dem Schlüsselkasten, obwohl sie sowohl einzeln als auch zusammen genommen grottenhässlich sind.
Jetzt erscheint Frau Schmidt hinter dem Tresen.
Sie trägt ein schlichtes dunkelgraues Leinenkleid, ihre klaren, blauen Augen verraten nichts, sie wirkt weder unfreundlich noch einladend. Das letzte Mal haben sie sich in der Nacht gesehen, als sie ihm gekündigt hat. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, was passieren kann, und schon die erste ist schlimm, dann würde sich Frau Schmidt nämlich erklären: »Tut mir leid, Herr Schöning, Sie haben nichts Falsches getan. Ich halte es nur nicht aus, wenn Sie meine Tochter vor meinen Augen anbaggern. Stefanie soll nicht mit Ihnen unter meinem Dach zusammenkommen.« Gerald wüsste nicht, was er ihr antworten sollte, ohne unhöflich zu werden.
Frau Schmidt wählt jedoch die noch schlimmere Variante: Sie sagt gar nichts. Damit bringt sie Gerald in die Bredouille: Wie soll er sich verhalten? Wenn noch eine Chance besteht, dass sie seine Schwiegermutter werden könnte, sollte er sich zurückhalten.
Wenn nicht, könnte er sie einfach anraunzen, was das eigentlich solle, Steff sei doch wohl alt genug, selber über ihr Leben und ihre Männer zu entscheiden!
Steff aufzugeben ist für ihn undenkbar!
Er will ihre Mutter nicht vollschleimen, seine Idee war es nicht, hier auszuziehen, das ist ein glatter Rausschmiss. Aber Respekt wird er ihr trotzdem erweisen, so wie er ihn sogar seinen nervigsten Kundinnen und Kunden in der Maklerfirma erweist. Erst jetzt fällt ihm auf, dass Frau Schmidt die Rechnung bereits auf den Tresen der Rezeption gelegt hat, sie hat sie wohl schon vorher geschrieben, damit es schneller geht.
»Bar oder Karte?«
»Bar.«
Gerald war frühmorgens extra noch am Geldautomaten. Er schiebt ihr ein Bündel kleine Scheine herüber. Frau Schmidt nimmt sie in die Hand und zählt nach. Es sind 4 Euro und 35 Cent zu viel. Frau Schmidt greift in die Kleingeldkasse.
Gerald winkt ab. »Lassen Sie mal ...«
Doch Steffs Mutter will von ihm partout keinen Tipp annehmen und legt das korrekte Wechselgeld auf den Tresen. Sie wickelt das Auschecken ab wie die Verabschiedung eines Vertreters, der sich zufällig in ihre Pension verirrt hat und der nie wieder kommt, weil sein eigentliches Handelsgebiet Sizilien-Süd ist. Gerald schaut an Frau Schmidt vorbei in das Hinterzimmer, als würde Steff dort warten. Dass sie nicht gekommen ist, versteht er nicht. Macht nichts, ich habe ja ihre Handynummer, tröstet er sich und ruft sich anschließend zur Ordnung: Nein, ich werde sie natürlich nicht anrufen!
»Gute Heimfahrt«, sagt Frau Schmidt.
Gerald schaut ihr abweisend in die Augen. Das ist durch und durch böse, denn sie weiß sehr wohl, dass sein Haus abgebrannt ist und er zurzeit nicht zurück kann.
Draußen nieselt es, das Meer liegt da wie ein grauer, übel gelaunter Teich. Gerald wuchtet seine vier riesigen Koffer in den Landrover und tuckert mit kleinem Gang vom Parkplatz. Wenn der Golf von Deuters hier noch stände, würde er ihm jetzt als Abschiedsgeschenk eine Schramme in die Seite fahren. Doch sein Golf ist ja bereits Schrott, wenigstens das.
Es bleibt für ihn komplett absurd, dass er, Gerald, fahren muss und nicht Deuters. Dabei ist er doch der Betrüger! Aber das Spiel ist nicht zu Ende. Es wird ab jetzt nur mit anderen Mitteln geführt, er wird Deuters noch in die Knie zwingen, da hat er keine Zweifel!
Gerald ist nach Wellness und Kitsch. Also fährt er nach Lütjenburg und kauft zwei Schalen Erdbeeren, die um
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