Traeum weiter, Mann
Geschichten angelangt, denkt Gerald, das kann dauern. Er und Deuters sollten das Feld räumen, das hier geht sie nichts an. Nur weil Deuters nicht geht, bleibt Gerald auch. Frau Schmidt kann sich nicht mehr beherrschen und haut mit der flachen Hand auf eine Tischplatte, Deuters zuckt richtig zusammen.
»Du bist undankbar und überheblich, wie immer!«, keift sie ihre Tochter an.
»Das ist nichts gegen deine Selbstgerechtigkeit!«
Gerald wird das doch zu blöd, er verlässt wortlos den Raum. Ist vom Ausgang dieses Duells jetzt abhängig, ob er Sex mit Steff hat, oder was? Er stellt sich draußen neben den Hauseingang, wo ihn die altmodische Lampe mit dem geriffelten gelben Glas anstrahlt. Ein winziges Dreieck ist herausgebrochen. Gerald fragt sich kurz, was da passiert sein könnte. Er atmet tief durch, die Luft riecht feucht und salzig.
Es ist wirklich zum Kotzen.
Wenn diese dussligen Handwerker nicht ins Haus gekommen wären, läge er jetzt neben Steff, und sie würden es wild miteinander treiben! Er lässt den Whirlpool-Film noch einmal in sich ablaufen, Steff steigt nackt zu ihm und fasst ihn an, dann spult er zurück und sieht ihn noch mal und noch mal.
Was eine Erektion für einen Mann bedeutet, können sich Frauen nicht vorstellen. Oder sehen Frauen einen attraktiven Mann durchs Großraumabteil im ICE wandern und schwupp, wären sie innerhalb von drei Sekunden zum Sex bereit? Alle Energie im Körper läuft auf einen Punkt zu, der einerseits fest ist, andererseits auf unerträgliche Weise instabil, alle Fasern schreien nach Erlösung.
Steff soll endlich kommen und ihn erlösen!
Nichts passiert. Gerald steht regungslos vor der Tür der Pension Möwenwind und starrt dumpf Richtung offenes Meer, das er im Dunkeln nur hören und riechen kann. Er fragt sich, was Deuters da drinnen noch macht: Sitzt er die ganze Zeit dumpf in der Ecke und glotzt, wie sich Mutter und Tochter streiten? Der Mann hat echt kein Benehmen! In Gerald schießt die Wut hoch, Deuters muss weg, und zwar heute Abend noch! Die Vorstellung, dass Deuters und er heute Nacht die einzigen Gäste in der Pension sind, wäre gruselig: Während er mit Steff schläft, tappst sein Rivale über die Gänge vor der Zimmertür auf und ab.
Gerald nimmt sein Handy in die Hand und lässt sich von der Auskunft die Nummer von Sabine Deuters in Hamburg geben. Ob er sofort verbunden werden möchte?
»Ja, natürlich«, raunzt er, als müsste das der Frau im Call-Center klar sein.
Es tutet dreimal, dann hört er das erste Mal die Stimme von Deuters’ Frau: »Sabine Deuters.«
Sie klingt älter als zwanzig, das überrascht ihn. Er sieht sie vor sich, lasziv im Pyjama auf dem Sofa liegend, sie hat den Fernseher mit der Fernbedienung schnell leiser gestellt, schaut aber weiter auf den Bildschirm.
»Gerald Schöning, ich bin ein guter Bekannter ihres Mannes. Ich wollte Ihnen nur sagen, Heiner geht es nicht so gut.«
Sabine ist sofort besorgt – wie erhofft.
»Ist etwas passiert?«
Gerald legt seinen beruhigenden Maklerton auf (»Die Schäden am Haus werden heute noch beseitigt, das ist doch klar.«): »Nein, aber er braucht dringend seine Frau. Der Roman saugt ihn förmlich aus.«
Was Sabine total verwirrt.
»Wer sind Sie?«
»Gerald Schöning ist mein Name, ich wohne in der gleichen Pension wie er.«
»Und warum sagt er mir das nicht selber?«
»Das weiß ich nicht, Frau Deuters. Vielleicht hätte ich mich auch gar nicht einmischen sollen, aber er redet immer so nett von Ihnen.«
Durch den Hörer kommt ein Schluchzen.
»Danke.«
»Alles Gute, Frau Deuters.«
Gerald drückt lächelnd die Aus-Taste. Damit hat er gerade vermutlich eine Ehe gerettet und zwei netten Kindern die Folgen einer Scheidung erspart.
Rumms!, knallt die Eingangstür auf, und Gerald springt beiseite. Frau Schmidt zischt grußlos mit einem Rollkoffer im Schlepp an ihm vorbei.
»Darf ich Ihnen helfen?«, fragt Gerald höflich.
»Macht doch, was ihr wollt!«, schreit sie wütend, ohne ihn anzuschauen. Frau Schmidt geht zu ihrem Wagen und öffnet die Heckklappe. Das Innenlicht geht an und beleuchtet ihr angespanntes Gesicht. Sie wirft eine lila Reisetasche in den Wagen und haut die Heckklappe mit Schwung zu. Es sieht nicht so aus, als ob sie und er jemals Freunde würden. Aber das kann man nie wissen, vielleicht wird genau das mal die Geschichte, die man sich auf jedem Familientreffen erzählt: »Weißt du noch, wie du mich damals rausschmeißen wolltest, Ingrid?«
»Och,
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