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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Hause komme, empfinde ich es beinahe als zu komfortabel, zu luxuriös. Eigentlich will ich auch so ein Naturmensch sein wie er. Ich lese »Walden« von Thoreau, schaue Filme wie »Into the Wild« und mühe mich mit Aufgaben ab, die ich zuvor gedankenlos Bruno übertragen habe. »Können wir nicht einfach Kaffee trinken?«, fragt mich dieser, als er mich wieder einmal in gebückter Haltung in irgendeiner Parzelle antrifft – ein tiefes Misstrauen spiegelt sich in seinen Augen bei allem, was ihm entgeht.
    Simone ist jetzt schon seit mehreren Wochen in Murviel, aber ich habe noch nicht viel mit ihr unternommen, ich hatte zu viel Arbeit auf dem Weingut und zu viel mit mir selbst zu tun. Aber heute schaue ich einen Moment lang nicht hin, hole tief Luft und steige mit ihr und den Mädchen ins Auto.
    Durch die hellgrünen Blätter der Platanen fällt gefiltertes Licht auf die Allée Paul Riquet in Béziers. Wie immer sitzen hier die tiefschwarzen Männer von der Elfenbeinküste, vor ihnen liegen ihre Teppiche, auf denen sie veraltete Sonnenbrillen und Täschchen anbieten, deren Reißverschlüsse nicht funktionieren. Normalerweise bin ich zu sehr in Eile, aber heute schaue ich mir bewusst an, was sie verkaufen. Gibt es wirklich nichts, was ich haben möchte, und wäre es nur, um ihnen eine Freude zu machen? Eine ausgebleichte Kappe mit der Aufschrift J’adore Paris oder eine rosa Tasche mit einer schief aufgenähten Hello-Kitty-Figur? Die älteren Migranten sitzen wie immer auf den Bänken. Jetzt, da ich mir die Zeit nehme, nehme ich ihre großen Gesten wahr, die Stickereien auf ihren Kopfbedeckungen, die Selbstverständlichkeit ihrer Anwesenheit.
    Ich muss an François, den Notar, denken, der hier aufgewachsen ist. Als er noch jung war, war die Allee das Herz der Stadt. Als Junge saß er mit seinen Freunden auf denselben Bänken, während die Mädchen der Stadt in ihren schönsten Kleidern immer wieder an ihnen vorbeiflanierten. Ich frage mich, wo sich die Jungen und Mädchen heute treffen. Wahrscheinlich in den deprimierenden Diskoschuppen vor den Toren der Stadt, in einem dieser gleichförmigen, düsteren Räume, wie man sie überall in Europa auf dem Land findet.
    Fiene und Marijn laufen wie zwei schnurrende Katzen neben mir her. Marijn hält meine Hand, Fiene lehnt sich im Laufen leicht gegen mich, während Laartje auf und ab springt und mit mir, mit Simone, mit niemandem im Speziellen redet.
    Um unserer Exkursion ein wenig Glaubwürdigkeit zu verleihen, gehen wir kurz durch die Einkaufssträßchen am Ende der Allee. Aber eigentlich hat niemand Lust, etwas anzuprobieren oder zu kaufen, und so landen wir – wie immer – an einem Tisch bei »Le Victor«. Ich lehne mich zurück und registriere mit der amüsierten Neugierde einer Außenstehenden den lebendigen Ausdruck auf den Gesichtern der Mädchen, die sehr französischen Handbewegungen, mit denen sie ihre Worte unterstreichen, den andächtigen Blick von Simone. Was für eine schöne Frau ist sie doch, und wie schön sind die Mädchen und wie intelligent. Bevor ich mich weiteren süßlichen Gedanken hingeben kann, klingelt mein Telefon.
    Â»Patronne, Lidewai!« , ruft Bruno, »il y a un problème!« Normalerweise bedeutet das, dass es mit dem Pflügen nicht so läuft, wie es sollte, oder dass irgendetwas, was Bruno benötigt, nicht mehr auf Lager ist.
    Â»Bon, qu’est-ce qu’il y a?« , frage ich ärgerlich.
    Â»Ist es normal, dass alle Türen auf dem Weingut weit offen stehen?«, fragt er.
    Â»Nein, natürlich nicht«, sage ich beunruhigt.
    Â»Mon dieu!« , ruft er wie ein Schauspieler aus den Zwanzigerjahren, »dann vermute ich das Schlimmste! Darf ich hineingehen?«
    Â»Ja, natürlich, schau nach!«, rufe ich und denke, dass das einer dieser Moment sein könnte, der alles verändert. Simone und die Mädchen haben aufgehört zu reden und starren mich an. »Mama, was ist los?!«, fragt Marijn, während Fiene mich hinter einer Locke anguckt, als sei sie am Anfang eines Satzes festgefroren. »Es scheint, als wäre auf dem Weingut eingebrochen worden«, sage ich schnell, um dann wieder mit Bruno zu sprechen: »Was ist los?«
    Â»Oh, là, là!« , alle Schränke stehen offen. Die Türen vom Vitrinenschrank wurden geöffnet … Nein, ich will gar nicht

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