Traeume ernten
einer der Beamten ein, »wissen Sie schon, was fehlt?«
»Eigentlich nichts«, sage ich, während ich ihnen ins Haus mit all den offenstehenden Schränken vorausgehe. Nichts deutet auf einen Einbruch hin, keine Anzeichen dafür, dass gierige Hände den Inhalt der Schränke auf der Suche nach Beute durchwühlt haben. Anscheinend ist jemand in Ruhe durchs Haus gegangen und hat systematisch jeden Schrank geöffnet. Der Blick des Beamten wandert von der veralteten Stereo-Anlage zu den Bildern im Wohnzimmer, zum Schrank mit den Antiquitäten. »Tja, hier gibtâs ja auch nichts zu holen«, stellt er schlieÃlich fest.
Dann lässt der Polizist seinen Blick noch einmal suchend durch das Zimmer schweifen. Er entdeckt den Nintendo: »Haben Sie vielleicht eine Vermutung, um wen es sich bei dem Täter handeln könnte?«, fragt der Mann nach einer kurzen Pause. Ich verneine ehrlich.
Als die Beamten das Grundstück wieder verlassen haben, gehe ich zu Bruno. Er hat sich inzwischen die Sicherheitsschürze umgebunden, die zu seiner Akku-Schere gehört, und nimmt gerade die verstärkten Handschuhe, die seine Finger schützen sollen, hinten aus dem Auto. »Ich verstehe nicht, dass die Polizisten keine Fingerabdrücke genommen haben«, sagt er enttäuscht.
Noch am selben Abend kommt er zurück auf das Grundstück, in der Hand hält er eine längliche grüne Tasche. Sofort weià ich, was sie enthält. »Patronne« , sagt er begeistert, »Sie müssen sich verteidigen können! Hier â nehmen Sie meine Flinte!«
Erst nachdem die Polizisten nicht mehr da waren, hatte ich wirklich begonnen, über ihre Frage nachzudenken. Ist der Täter jemand, den ich kenne? Vielleicht Bruno mit seinem Wunsch, mir gegenüber den Helden zu spielen? Aber natürlich ist es genauso gut möglich, dass es sich um einen mir unbekannten Einbrecher handelt. Also nehme ich das Gewehr und lerne, wie man es entsichert und wie ich die zwei Patronen einlege. Danach richte ich es auf einen unschuldigen Mandelbaum am Rand des Grenache Blanc. »Denken Sie an den Rückschlag, drücken Sie den Schaft gut gegen Ihre Schulter!«, sagt Bruno.
Wird schon gutgehen, denke ich, während ich den Hahn durchziehe. Der Rückschlag schleudert mich so heftig nach hinten, dass ich beinahe falle, genau wie Bruno es offenbar gehofft hatte. Er stürzt sich zufrieden in einen ausgiebigen Lachanfall, der Anteilnahme und Schadenfreude spiegelt. Ich schieÃe noch einmal, weià jetzt, was mich erwartet, und treffe.
Ich probiere es noch zwei, drei Mal, aber die Schüsse machen einen ohrenbetäubenden Lärm, und der Baum kann schlieÃlich auch nichts dafür. Seufzend lege ich das Gewehr zurück in seine Hülle. »Behalten Sie es in Ihrer Nähe, damit Sie es nachts schnell zur Hand haben!«, legt Bruno mir nahe und gibt mir eine Schachtel mit Patronen. Sie würden ausreichen, um die gesamte Fauna von Murviel auszurotten.
Pierre sitzt am Steuer â wir fahren über die Autobahn durch eine verlassene Landschaft aus grünen Hügeln und einem blauen Himmel darüber. Alle paar Minuten schaut er zur Seite und lacht mich an.
»Gibt es eine gemeinsame Zukunft für uns?«, hatte er mich gefragt, als wir während einer Wanderung auf einer Steinmauer rasteten. Der erste warme Frühlingswind wehte über unsere Gesichter, wir schauten auf ein Feld mit Olivenbäumen â ich hatte gelacht und genickt. Natürlich, ich kann mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen. Mein ganzes Leben hier, alles hat durch ihn eine neue Färbung bekommen. Ich habe so viel von ihm gelernt, wir haben zusammen ein wunderbares Spaliersystem für meinen Mourvèdre errichtet. Er ist sogar bei der Bank gewesen, hat Pläne für einen eigenen Weinkeller neben meinem.
»Endlich kann ich dir meinen Geburtsort zeigen!«, strahlt er, »endlich kann ich dich meinen Eltern vorstellen!« Eigentlich sollte auch ich froh sein, aber während wir weiterfahren, fühle ich, wie mich ein Gefühl der Schwere immer tiefer in den Autositz drückt. Irgendwo ist noch Schorf, und ich weiÃ, dass ich nicht drangehen sollte. Er wird von selber abheilen, wenn ich ihn in Ruhe lasse. Wenn ich ihn jetzt aufkratze, hört die Wunde vielleicht nie mehr auf zu bluten. Aber ich kann mich nicht zurückhalten. »Deine Freundin!«, sage ich also. »Ich
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