Traeume ernten
bestellt.« Rosemary lässt die Suppenkelle los: »Was sagst du? Will er nach dem ersten Treffen bei dir bestellen?!« »Just like that« , sage ich lachend, »das habe ich dir zu verdanken.«
An diesem Abend liege ich in einem federnden Bett mit Patchwork-Decke und studiere das Buch, das Simon mir gegeben hat. »The customer list includes luminaries such as Lord Byron and the Duke of Wellington« , lese ich. »Berrys first sup plied wine to the British Royal Family during the reign of George III and has continued to do so to the present day.« Ein guter Rahmen für die freundlichen Flaschen aus Murviel-lès-Béziers, denke ich lächelnd. Dann klingelt mein Telefon â ich muss nicht hinschauen, um zu wissen, wer es ist: Pierre.
»Auf ein Weingut gehören auch Tiere«, finden die Mädchen, »groÃe Tiere, Hunde und Katzen kann man auch in der Stadt halten.« Von meinem Büro aus schaue ich auf ein groÃes leeres Feld, ich muss zugeben, dass es ziemlich verlassen wirkt. In Zeitschriften sehe ich biologische Winzer, die mit Pferden arbeiten. Wir haben einmal mit Eseln geerntet â sehr sympathische Tiere, fand ich. Eine gute Alternative auch zu der Kuh, die Fiene sich schon vor zwei Jahren zu ihrem Geburtstag gewünscht hatte. »Das ist praktisch«, sage ich zu Simone, »ein Esel kann im Winter das Unkraut in den Weingärten kurz halten, wir haben gratis Dünger, und wir müssen das Feld nicht mehr mähen.« Sie schaut mich an wie durch einen dichten Nebel. »Ein Esel?«, sagt sie, »na ja, wenn du das schön findest.«
Und dann kommt Gaston, ein viel zu groÃer provenzalischer Esel, der in einem Anhänger auf das Grundstück gefahren wird. Mit seinem riesigen Schädel verteilt er heftige KopfstöÃe, die mich fast umwerfen. »Ah, des coups de boule â¦Â« , sagt die junge Frau von der Reitschule entzückt, »er ist ja so anhänglich.«
Als die Kinder in der Schule sind, lege ich Gaston sein Halfter an, um mit ihm spazieren zu gehen. Er will rennen. Ich stemme meine Fersen in den Boden, sodass mir der Schweià am Körper hinunterläuft, als ich versuche, seinen Kopf nach unten zu halten, ihn zwinge, neben mir zu bleiben. Wir kommen an Monsieur Lampilas vorbei, der erschrocken in den Graben springt. »Ich habe noch nie so einen groÃen Esel gesehen«, sagt er. Während ich versuche, Gaston zum Stehen zu bewegen, erzählt Monsieur Lampilas mir von dem Arbeitspferd seines Vaters, das versucht hatte, ihn im Stall gegen die Wand zu drücken. »Wenn ich mein Taschenmesser nicht dabeigehabt hätte, wäre ich tot gewesen.« Ich nicke, bedanke mich für die aufmunternde Geschichte und kämpfe mich zurück nach Hause.
Vorsichtig trage ich meine Probleme der jungen Frau vom Reitstall vor, die sofort weiÃ, dass sie ein Weichei vor sich hat. Sie beginnt, sich nach einem kleineren, ruhigeren Esel umzuschauen.
Eine Woche später fahre ich erneut mit den Mädchen durch die wilde, verlassene Landschaft, dieses Mal zum centre équestre , also zum Reiterzentrum, in Berlou. Im Sommer können die Touristen hier Esel für Rundritte mieten, jetzt stehen die einsamen, ungesattelten Tiere verloren im Licht der tief stehenden Morgensonne.
»Das ist er.« Die junge Frau aus dem Reitstall zeigt uns einen jungen, grauen Esel mit einem dunklen Streifen auf dem Rücken. Er ist nicht groÃ, scheint vorsichtig, fast ein wenig schreckhaft zu sein. Aber als ich ihn streichele, lehnt er seinen Kopf an mich. »Was haltet ihr von ihm?«, frage ich die Mädchen. »Ja! Ja! Das ist er!«, rufen sie. Wir nennen ihn Gaspard.
»Tâes dans mes pensées à chaque instant« , schreibt Pierre â ich fühle wie er. Ich denke an ihn, wenn ich im Weinkeller arbeite, wenn ich durch die Weinfelder laufe, mein Alltag ist immer der gleiche, aber ich bin nicht mehr allein. Ãber Mittag setze ich mich auf ein sonniges Plätzchen, neben mir das Telefon, ich lächele, sobald ich seine Stimme höre. Abends liege ich im Bett und warte, ich weiÃ, dass er anrufen wird, dass wir bis weit nach Mitternacht miteinander sprechen werden.
Wir verabreden uns irgendwo in einem Weinberg bei Saint-Chinian, wandern in Bize Minervois am Wasser entlang, suchen die Kühle der hohen Berge im Hinterland auf. Ich hatte völlig vergessen, dass ich so unglaublich viel fühlen kann. Auf
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