Traeume ernten
fände es auch schön, deine Eltern zu treffen, aber bist du nicht einen Schritt zu schnell? Ist das mit deiner Freundin inzwischen geregelt?« Er schaut mich an wie ein begossener Pudel, die aufkommende Panik raubt ihm den Atem.
»Sie ist weg«, sagt er, »das weiÃt du doch?« Ich weiÃ, dass er in Béziers eine Wohnung für sie gemietet hat, seitdem ruft er mich abends ungestört von seinem eigenen Sofa aus an. Jetzt weià er auch, wie man eine Waschmaschine bedient.
»Aber weià sie auch, dass es aus ist zwischen euch?«, frage ich. Bestürzt schaut er mich an, eine tiefe Traurigkeit, die ich noch nicht kenne, breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Wie soll ich ihr das beibringen?«, seufzt er, »sie kommt aus einer streng gläubigen Familie, sie hat mit ihrer Familie gebrochen, um bei mir sein zu können, sie hat niemanden mehr.« Sie hat auch keine Kinder, denn die wollte er nicht.
Mit Verwunderung schaue ich den niedergeschlagenen Mann neben mir an, beobachte diese sonderbare Mischung aus Fürsorge und Egoismus.
»Sag mir«, fragt seine alte Mutter, als ich alleine bei ihr auf einem Plastikstuhl in der Küche sitze, »wie ist er eigentlich wirklich?«
»Mama, er ist gar nicht glücklich.« Fiene deutet beunruhigt auf Gaspard, der in seinem Stall hin- und herläuft. Ab und zu schreit er. »Ein Esel sollte nie alleine gehalten werden«, lese ich in dem Buch, das ich gekauft habe â Je dresse mon âne â ich betrachte Fotos von Mädchen, die mit Eseln über Hindernisse springen, eine Serie Zeichnungen von Eseln, die mit ihrem Maul einen Türriegel öffnen: »Un âne sait ouvrir plusieurs types de serrures.« Ah bon , denke ich.
Nicht weit vom Dorf entfernt liegt ein Kinderbauernhof, dessen Besitzer auch Tiere verkauft. Mit ausholenden Armbewegungen stapft der Inhaber in seinen schlammigen Stiefeln über eine groÃe, abfallende Weide. In einer Ecke stehen ein paar dreckige Esel mit braunen Flecken und borstigem Haar. Erst jetzt wird mir bewusst, wie hübsch Gaspard ist. »Das sind sie also«, sagt der Mann, während er die scheuen Tiere weiter in die Ecke treibt. Er schnappt sich einen schon etwas älteren Esel mit kahlen Flecken in der Mähne und bastelt aus einem blauen Stück Tau mit ein paar Handbewegungen ein Halfter zusammen. »Hier lauf mal ein Stück mit ihm«, sagt er und drückt Fiene das Ende des Stricks in die Hand.
Sie macht zwei vorsichtige Schritte, die ausreichen, um den Esel zu einem Trab anzuspornen. Entsetzt schaut sie sich zu mir um, dann rennt sie hinter ihm her, wird mitgeschleift â der Mann lacht dröhnend und schlägt sich dabei auf die Knie. »Lass den Strick los!!«, rufe ich Fiene zu und bin mir sicher, dass wir keines dieser Tiere mit nach Hause nehmen werden.
Marijn hat sich ein Stück von uns entfernt, als ich in der Ferne einen Trupp Shetlandponys sehe, die die Wiese heruntergetrabt kommen. Ich hatte sie vorher nicht gesehen, nehme an, dass sie oben hinter den Bäumen gegrast haben. Diese rennenden Pferde mit ihren wehenden Mähnen erinnern mich an Indianer, die Prärie. »Die habe ich aus Belgien kommen lassen«, sagt der Mann, »es ist eine wilde Truppe, nicht eingeritten, ich weià noch nicht, was ich mit ihnen mache.«
Ein kleines schwarzes Pferdchen entfernt sich von der Gruppe, läuft ganz ruhig auf Marijn zu und drückt seinen Kopf gegen ihren Bauch. Ich sehe, wie Marijn kurz zögert, dann streichelt sie über seine Wangen, durch seine dicke Mähne, gerührt schaut sie zu mir herüber. »Mama?«, fragt sie zögernd. Ich gehe zu ihr hinüber, betrachte das kleine Pferd aus der Nähe, die kleinen Hände von Marijn in seinem dicken Haar. »In Ordnung«, sage ich und spreche mit dem Mann ab, dass er das Tier noch am selben Tag vorbeibringt. 150 Euro. Viele Menschen in den Niederlanden bezahlen das für eine Jeans.
Langsam finde ich heraus, wie die Skipiste beschaffen ist, die ich mit Pierre hinaufgelaufen bin â eine anstrengende Strecke voller Versprechen und Ultimaten, die, wie man es auch dreht und wendet, nur nach unten führt.
»Was für ein Mann bin ich, wenn ich jemand anderen um meines eigenen Glückes willen töten muss?«, ruft er dramatisch.
»Prima«, sage ich selbstbewusster, als ich es bin. »Dann bleib doch bei deiner Freundin â gib mir meine
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