Traeume von Fluessen und Meeren
Unterbewusstsein ist«, las Paul. Der Mann hatte eine ziemlich mädchenhafte Handschrift: »Sie sagen mir, dass Sie unsere sprachbestimmte, hyper-bewusste, zweckorientierte und räuberische Lebensart als evolutionäre Sackgasse betrachten, die letztendlich nur zur Auslöschung der Menschheit auf diesem Planeten führen kann. Was mich betrifft, so frage ich mich, auf welcher gequälten Eschatologie Ihre Ängste beruhen.« »Es steht mir nicht zu, zu entscheiden« , endete einer von Coomaraswamys Briefen, »ob Sie auserwählt sind oder nicht. Das können nur Sie selber wissen.«
Es gab massenweise Briefe von Geldgebern und potenziellen Geldgebern. Die waren mit einem Gummiband gebündelt. »Lieber Professor James, unsere Agentur teilt im Wesentlichen Ihre Sorgen und Ziele. Dennoch sind wir der Meinung, dass das von Ihnen vorgeschlagene Projekt zu theoretisch und spekulativ ist, um unseren Förderbedingungen zu entsprechen, so bescheiden die von Ihnen benötigte Summe auch sein mag.« Der gestanzte Briefkopf lautete: Bundesagentur für Stadtplanung, Washington D.C. »Wenn Sie allerdings«, ging der Brief weiter, »konkrete Beispiele dafür vorweisen können, wie die kollektive Psychologie eines bestimmten urbanen Umfelds in Richtung der von Ihnen erwähnten größeren Friedfertigkeit beeinflusst werden kann, wären wir bereit, unsere Entscheidung noch einmal zu überdenken.«
Die Arachnologische Gesellschaft erkundigte sich in einem kurzen Schreiben, wie weit Albert James’ Forschungen gediehen waren. »Wir sind besonders interessiert zu hören, was Sie über den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Netzstrukturen ermitteln konnten.«
Ein Londoner Verlag erinnerte James daran, dass der Abgabetermin für ein Manuskript von ungefähr 80.000 Wörtern mit dem Arbeitstitel Kartografie des nicht Erkennbaren inzwischen um mehr als achtzehn Monate überschritten war und der Vorschuss in Höhe von 5000 Pfund (gezahlt per Überweisung im März 2001) daher laut Vertrag nun zurückgezahlt werden musste. »Können Sie uns allerdings versichern« , schloss der Brief, »dass Ihr Buch kurz vor der Vollendung steht, dann würden wir von einer Durchsetzung unserer Rückforderung absehen.«
Paul trat ans Fenster, öffnete es und zündete sich eine Zigarette an. Draußen herrschte ein explosives Gemisch aus Hitze und Abgasen. Wie es schien, hatte James keine Kopien der Briefe angefertigt, die er selber verschickt hatte, es sei denn, er hatte sieauf seinem Computer gespeichert. Wenn Paul sich alle Adressen notierte, konnte er vielleicht die Adressaten anschreiben und bitten, James’ Antwortschreiben einsehen zu dürfen. Das sah allerdings nach viel Arbeit und wenig Lohn aus. Coomaraswamy zum Beispiel würde nicht kooperieren, sonst hätte er diese Briefe bereits bei ihrem Treffen erwähnt. »Entweder lege ich los und schreibe dieses verfluchte Buch einfach«, murmelte Paul, »oder ich betreibe Schadensbegrenzung und lasse das ganze Projekt fallen.«
Er spürte einen gewissen Trotz. Indem er gerade jetzt gestorben war, war Albert James ihm entkommen, und zugleich hatte er ihn von seinem normalen Leben weggelockt, und tat das immer noch. Paul hatte seit Tagen seine E-Mails nicht mehr abgerufen. Sein Bostoner Ich kam ihm langsam abhanden. Dennoch schien ihn die Faszination, die Albert James bei ihm auslöste, nicht weiterzubringen. Seine Gedanken waren jetzt wirrer als zum Zeitpunkt seiner Ankunft. Es wäre klüger gewesen, dachte Paul unwillkürlich, ein einfacheres Projekt zu wählen, etwas, das sich leichter vermarkten ließ und für das er seine Recherchen zu Hause hätte durchführen können. »Einhundert amerikanische Helden« war ein Projekt, das sich mit Sicherheit leicht verkaufen ließ. Auf der anderen Seite hatte er viel Herzblut in diese Biografie investiert. Du hast dir mit Absicht etwas Schwieriges ausgesucht, dachte er, eine Aufgabe, die dich zwingt, erwachsen zu werden. Jetzt musst du auch damit fertig werden.
Er ging zum Küchentisch, stellte die Kiste auf den Kopf und durchwühlte schnell die Papiere. Mehr als die Hälfte waren Einladungen zu Konferenzen. Er schenkte ihnen kaum Beachtung. Über den Weltfrieden. Über die Kommunikationsgewohnheiten von Reptilien. Über Sprache und Psychopathogenese. Über primäre und sekundäre Denkprozesse. Wie man lernt, das Lernen zu lernen. Verhaltensänderungen im Umgang mit der Erderwärmung.
Dann stieß er auf einen handgeschriebenen Brief. Er war von jemandem, der
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