Traeume von Fluessen und Meeren
Dunkelheit. »Und, hast du’s entdeckt?« Kurz vor dem Ende gab es einen Moment, da hatte er sie sehr eindringlich angesehen, konnte aber nicht sprechen. Bis in die frühen Morgenstunden schwankten ihre Gefühle zwischen Zorn und Zärtlichkeit.
Als er sich in das kleine Schlafzimmer zurückzog, hatte Paul das Gefühl, noch nie einem Thema so nah und gleichzeitig so unfähig gewesen zu sein, mit dem Schreiben anzufangen. Je mehr Notizen er sich machte, desto schwieriger wurde alles. Vielleicht hatte Helen recht, und Albert James’ Forschungen hatten jede Richtung verloren, nachdem die beiden die USA verlassen hatten. Damals hatte er angefangen, sich für Insekten und Spinnen zu interessieren. Die Gerichtsverhandlung, die Anschuldigungen einer minderjährigen Prostituierten hatten den Mann aus dem Gleichgewicht gebracht, das war verständlich, ebenso die Kontroverse um seine Theorien über Geisteskrankheiten. Ihm war es immer recht gewesen, wenn andere seine Gedanken geklaut und sich selbst ins Rampenlicht gestellt hatten.
Paul hatte ein Dutzend Bücher aus dem Wohnzimmermitgenommen und auf den Nachttisch gelegt. »Wo der Informationsfluss notwendigerweise unterbrochen wird« , war auf das Titelblatt des ersten gekritzelt, »da können wir sicher sein, dass wir uns dem Heiligen nähern.«
Es war ein akademischer Text über Kommunikationstheorie, erschienen bei McCraw-Hill. Paul versuchte, aus den Worten schlau zu werden. Er hatte nach flüchtiger Sichtung der Bücher in der Wohnung schnell kapiert, dass es als Erstes darauf ankam, festzustellen, in welcher Reihenfolge James sie gelesen hatte; dann könnte er die Bemerkungen am Rande vielleicht besser einordnen. Aber wie sollte er das machen? Und was meinte Albert damit: »Wo der Informationsfluss notwendigerweise unterbrochen wird?« Um welche Information ging es? Wieso notwendigerweise ? Und was war mit dem Heiligen gemeint?
Alberts Bücher waren alphabetisch geordnet. Bücher über Elektrotechnik standen neben anthropologischen Wälzern, Romanen, Geschichtsbüchern, philosophischen, physikalischen oder mathematischen Fachbüchern. Man hatte den Eindruck, dass er alles Mögliche gelesen hatte, aber ganz wahllos; er folgte einem Faden, der unsichtbar blieb; oder er zerstreute sich absichtlich, lenkte sich ab, folgte keinem Faden, vertiefte sich in die Gedanken anderer, um zwischen ihnen Verbindungen herzustellen, seine Gedanken darüber schweifen zu lassen, vielleicht gerade um eine eigene Schlussfolgerung zu vermeiden, so als wäre genau das eine Art Vergehen.
Viele der Bücher waren illustriert: Kunstbände, hinduistische Ikonografie, Handwebereien in Kaschmir, Fotobände über Delhi, Bombay, Kalkutta. Zu jedem Autor schien Albert James eine unterschiedliche Beziehung zu haben, die sich in einem erregten, bestürzten, komplizenhaften Ton verriet. Sogar seine Handschrift veränderte sich von Buch zu Buch. Alte Schulausgaben von Alice im Wunderland und Alice hinter den Spiegeln waren mit besonders dichtem Gekritzel versehen. »DerSchrecken der Nymphen!« , hatte er geschrieben. Es war klar, dass er manche Bücher zu verschiedenen Zeiten erneut aufgeschlagen und Notizen neben, zwischen und über andere Notizen geschrieben hatte. In einer Ausgabe des New York Review hatte er zwischen die Spalten eines Panik machenden Artikels über die Erderwärmung gekritzelt: »Die Schlange, das Becken, das flüssige Auge!«
Am fünften Tag fand Paul einen Stapel Briefe. Es gab in der Wohnung der James’ keinen Aktenschrank. Er hatte eine Kiste von dem großen Schrank im Schlafzimmer heruntergeholt. Das war äußerst indiskret, aber Helen hatte ihn nun mal sich selbst überlassen. Ihr musste klar sein, dass das passieren konnte.
Es war eine große Kiste, in der früher mal zwölf Flaschen Kindfisher-Bier gewesen waren. Er stellte sie auf den Tisch. Lochana war in der Küche beschäftigt, und er fragte sich, ob das ältere Dienstmädchen Helen wohl von den Freiheiten berichten würde, die er sich herausnahm, und ob er sie nach dem Mädchen fragen könnte, das bei dem Abendessen hier gewesen war, dem hübschen Mädchen, das auf dem Video die Laken gewaschen hatte.
Es gab Briefe von Coomaraswamy von der Theosophischen Gesellschaft; ungefähr ein Dutzend. So viel also zur Aufrichtigkeit des Mannes, der behauptet hatte, er habe James nur von gelegentlichen Begegnungen gekannt. »Sie fragen mich, ob ich glaube, dass religiöse Erfahrung ein Mittelding zwischen Bewusstsein und
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