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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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verwandelte.»
    Der Interviewer fühlte, wie ihm ein bitterer Geschmack die Kehle hochkam, die
religieuse,
vermischt mit etwas Magensaft. Er schluckte hastig, er würde später nach einer Tasse Tee fragen oder nach einem Glas Wasser. Ihm war sowieso etwas flau zumute gewesen.
    Â«Das ist doch mal eine perfekte Metapher fürs Kino! Da hat jemand richtig nachgedacht, auch wenn er ‹nur› Horrorfilme macht. Der Zuschauer ist gefesselt, die Bilder sind Nadelstiche, und das Ganze kitzelt einen mit dieser geilen Erwartung, die man hat, gleich wird das Fleisch aufgeschnitten, bald spritzt das Blut. Viele große Filmemacher haben ja als Horrorfilmer angefangen, Raimi, Browning, Scott. Oder in der Pornobranche. Entschuldigung, der Husten.»
    Der Interviewer nutzte den Anfall, um ein Taschentuch aus der Hose zu ziehen und sich über den Mund zu wischen. «Kann ich bitte …» Ein Klingeln unterbrach ihn.
    Â«Ist das die Tür? Ah, gut!» Der alte Mann beugte sich nach links, sodass er um den Interviewer herum in den Gang sehen konnte. Die Sekretärin aus dem Nebenraum machte auf.
    Â«Ah, Ralph! Gut. Hängst du den Smoking in den Schrank? Nein, nicht gleich raus, ich will mich noch nicht auf diesen scheußlichen Abend vorbereiten. Danke! Und Ralph? Ja? Bringst du mir meinen Inhalator?»
    Ralph ging mit dem in durchsichtiges Plastik gehüllten Smoking, der offenbar frisch aus der Reinigung kam, durch das Wohn- ins Schlafzimmer. Für einen Moment spürte der Interviewer die Wärme, dann roch er den Dampf des Bügeleisen, der unter der Zellophanhülle noch im Stoff eingeschlossen war. Ralph brachte dem alten Mann seinen Inhalator, aber der Hustenanfall war vorüber, und der Produzent schickte seinen blonden Riesen mit der kleinen weißen Notfalldüse wieder weg.
    Â«Pardon. Die Reise war anstrengend. Ich bin aus Rom geflogen, und neben mir saß eine Horde dieser Gackerstarlets, das erste Mal nach Cannes. Kein Respekt mehr vor dem Filmgeschäft, nur Party ist angesagt. Sollen wir noch etwas anderes trinken? Der Tee war ja furchtbar. Ralph ist gleich wieder da.»
    Ja, der Tee war nicht gut gewesen. Aber davon konnte ihm unmöglich auf einmal so schlecht geworden sein. War das die Fischsuppe von gestern? Er dachte an Heloisa, sie hatte, nein, sie hatte Fleisch gegessen. Entrecote. Velder zwang sich, ruhig zu atmen. Er fühlte sich völlig ausgetrocknet. Er hatte wahnsinnigen Durst.
    Â«Und gleich, als ich ankam, gab es diesen Empfang, ich meine, nicht den offiziellen, nur den gesetzten. Den mit den wichtigen Leuten.»
    Der Interviewer merkte, wie er zu schwitzen begann. Allein der Gedanke an Fisch löste furchtbaren Brechreiz aus. Der Schweiß lief ihm unter den Achseln, an den Beinen, am Bauch, im Schritt. Er hörte es in seinem Magen rumoren. Wusste der Teufel, was das war. Der Durst wurde immer stärker, plötzlich flimmerte es vor seinen Augen, einen Moment war er weg. Dann sah er die Flasche Perrier auf der Kredenz an der Wand zum Arbeitszimmer. Eine tiefe, grüne Flasche. Es waren nur zehn, fünfzehn Schritte, aber es war zu weit – ihm war zu schlecht.
    In diesem Moment glich der Abstand zu der Flasche Perrier einem Abgrund.
    Â«Oder denken Sie an den ganzen deutschen Expressionismus. Murnau mit seinem
Faust-
Film und
Nosferatu
, Wisemit
Caligari
, Wegener mit dem
Golem
, alles Monster, alles Metaphern.
    Den
Golem
würde ich gern als Remake machen: das einzige Monster, das sie noch nicht zehn Mal wiederbelebt haben. Was für Themen: künstliche Menschen, Judenverfolgung, Rache, ein Superheld aus Lehm, der außer Kontrolle gerät, Liebesspiele im Getto, genial!
    Was ist mit Ihnen, ist Ihnen nicht gut? Sie wirken auf einmal so blass.»
    Der Interviewer hielt sich die Hand vor den Mund, hustete einmal trocken und sagte gepresst. «Nein, es geht schon.» Dann wischte er sich schnell mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Ihm war abwechselnd heiß und dann wieder kalt. Er spürte, wie sich der Schweiß durch seine Hose am Hintern fraß, ins Polster des Sitzmöbels, plötzlich kam Panik in ihm auf. Er würde noch einen Abdruck hinterlassen.
    Â«Aber die Franzosen tischen alles auf, als hätten Sie die Welt erfunden. Ach, wenn ich an Truffaut denke. Der hatte noch Respekt vor dem Handwerk. Überlegen Sie mal, sein Interviewbuch mit Hitch, das Beste, was es zum Thema gibt, da lernen Sie, wie

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